Der heilige Schein
männlichen Partner haben. Man sieht den Fortschritt der katholischen Kirche, der die Frauenvertreibung restlos geglückt ist.«
Noch ein Beispiel zur Illustration: Der Vorsitzende des konservativen »Priesternetzwerks«, das sich selbst als »Notwehrgemeinschaft« gegen eine Modernisierung der Kirche versteht, der Mainzer Pfarrer Hendrick Jolie, bestätigte am 16. August 2010 in einem kath.net -Interview, dass seinem Netzwerk die »Dokumentation« - man könnte auch sagen: Denunziation - liturgischer und pastoraler »Sonderwege« im deutschsprachigen Raum ein zentrales Anliegen sei. Ein Anliegen, bei dem das Netzwerk von höchster Stelle ermutigt werde, so etwa im Frühjahr 2009, als Benedikt XVI. die Sprecher des Netzwerkes zu einer halbstündigen Privataudienz empfing.
Zwei Begegnungen waren es, die meine innere Abkehr vom konservativen Katholizismus entscheidend vorantrieben. Die erste fand an einem sonnigen Frühlingstag 2009 im Kölner Volksgarten statt. Der Hund eines alten Herrn spielte mit meinem Hund, und so kamen wir ins Gespräch. Als ich sagte, ich sei Lehrer für katholische Religion, fing der alte Herr an, von sich zu erzählen. Er habe das Dritte Reich als junger Katholik jüdischer Abstammung in der Schweiz erlebt, und sein Respekt vor dem, was Papst Pius XII. auch für die Juden getan habe, sei ebenso groß wie seine Zustimmung zu dem vom Zweiten Vatikanischen Konzil initiierten jüdisch-christlichen Dialog. Dies alles verblasse nun aber angesichts der Tatsache, dass der jetzige Papst einen Antisemiten wie Bischof Williamson wieder in die Kirche aufgenommen habe. Trotz seines hohen Alters und einer tiefen Verbundenheit mit dem katholischen Brauchtum sei er einige Tage nach dieser Entscheidung des Papstes aus der Kirche ausgetreten.
An diesem Punkt ging mir auf, dass es bei den Kämpfen, die ich in den letzten Jahren ausgefochten hatte, nicht nur um akademisches Geplänkel und persönliche Eitelkeiten ging. Schlaglichtartig wurde mir bewusst, welch immensen Schaden die extrem konservativen Kreise in der katholischen Kirche dem Christentum zufügen. Was im engen Kreis der Herrenabende vor knapp einem Jahrzehnt noch diskret ausgetauscht worden war, schien nun zur offiziellen Doktrin der katholischen Kirche geworden zu sein. Der in aller Welt mit großer Aufmerksamkeit verfolgte Fall Williamson war der Wendepunkt im gegenwärtigen Pontifikat, an dem die Stimmung zuungunsten der katholischen Kirche umschlug. Die Missbrauchsskandale, die danach folgten, noch mehr aber der Umgang der gegenwärtigen Hierarchien mit diesen Vorfällen, führten dazu, dass sich dieser Wendepunkt zur größten Krise der Kirche seit der Reformation auswuchs.
Die zweite richtungweisende Begegnung hatte ich mit dem Berliner Filmemacher Rosa von Praunheim. Er war eigentlich zu einem Filminterview mit einem »konservativen katholischen Theologen« für eine Dokumentation über die Hölle zu mir gekommen. Zunächst zeigte er sich erleichtert, dass ich die katholische Doktrin ohne Beschönigung darstellte und nicht um eine verschleiernde Interpretation bemüht war. Ab einem gewissen Punkt war auch die Einstellung der Kirche zur Sexualität Thema, und im Anschluss an das Interview entwickelte sich ein sehr persönliches Gespräch. Von Praunheim erzählte, wie er 1991, auf dem Höhepunkt der Aids-Krise in Deutschland, nach US-amerikanischem Vorbild begonnen hatte, Personen des öffentlichen Lebens zu outen. So umstritten die Aktion war, so habe sie doch die gesellschaftliche Anerkennung der Homosexualität in Deutschland grundlegend zum Besseren verändert. Auch vom jahrzehntelangen Kampf seiner Generation für die Gleichberechtigung Homosexueller war die Rede.
In diesem Gespräch wurde mir auf einmal klar, dass ich bisher die von Rosa von Praunheim und anderen erkämpfte Freiheit immer nur genossen hatte, ohne selber etwas für deren Erhalt zu tun. Im Gegenteil, ich war Teil einer zutiefst antidemokratisch und antiliberal ausgerichteten Gruppe, die genau diese Rechte wieder rückgängig machen wollte.
Dieser Zwiespalt begann nun, in meinem Gewissen zu rumoren, und ich zog mich noch deutlicher als zuvor zurück. Wenn ich noch etwas veröffentlichte, waren es streng wissenschaftliche Aufsätze, die keinerlei Berührungspunkte mehr mit dem kirchenpolitischen Zeitgeschehen hatten.
Ich darf nicht länger schweigen
Wenn man innerlich so weit auf Distanz gegangen ist, wie ich es Anfang 2010 bereits getan hatte, genügt als letzter
Weitere Kostenlose Bücher