Der heilige Schein
Fördergemeinschaft zuvorgekommen. Schon lange habe man den Verdacht gehegt, dass ich mich in meinem Privatleben nicht um einen »kirchlichen Wandel« bemühe. Neue Nahrung habe diese schlimme Annahme dadurch bekommen, dass ich eine Petition für das Zweite Vatikanum und gegen die Rehabilitation des Holocaustleugners Williamson unterzeichnet hätte. Endgültige Gewissheit habe Hauke freilich erlangt, als er »am 25. März 2010 auf Bergers Internetauftritt bei Facebook stieß, der für alle registrierten Nutzer des sozialen Netzwerkes zugänglich ist (also für über 400 Millionen Personen). Die dort feststellbaren Einzelheiten bekunden eindeutig das Verwurzeltsein in einem homosexuellen Milieu.«
Am meisten schockierte ihn jedoch etwas ganz anderes: »Erstaunlich ist freilich die Unverfrorenheit, mit der er selbst das Licht der Öffentlichkeit gesucht hat ... hätten ihm sonst die Chance gegeben, nach einem Rücktritt diskret von dem Milieu Abstand zu nehmen, von dem sein Auftritt bei Facebook ein trauriges Zeugnis ablegt und sich auf seinen verantwortungsvollen Stand als habilitierter Theologe neu zu besinnen.«
Einen ähnlichen Text schickte er an die kleine konservative Zeitung Tagespost, für die ich jahrelang als freier Mitarbeiter tätig war. Die Zeitung druckte ihn in seinem Sinne ab, ohne mit mir vorher in irgendeiner Form Rücksprache gehalten zu haben.
Zwei Aspekte sind es, die Haukes Reaktion höchst aufschlussreich für unsere Thematik machen: Erstens gründet seine gesamte Argumentation auf einem sehr allgemeinen Verdacht, nämlich einer Facebook-Verlinkung zu den Gay Games, die ihm auch nicht mehr an die Hand gab als das reichlich diffuse » Verwurzeltsein im homosexuellen Milieu« und die damit einhergehenden, nicht hinnehmbaren »Verhaltensweisen« - Begriffe, die er offensichtlich von den Demagogen bei kreuz.net übernommen hatte. Immerhin ist er dann aber so ehrlich, in einem Nebensatz die wahren Gründe offenzulegen, warum er mit seinen Informationen jetzt an die Öffentlichkeit geht. Schon lange habe es Verdachtsmomente gegeben, man habe jedoch immer im »Zweifel für den Angeklagten« urteilen wollen. Erst als ich die genannte Petition für eine dem Zweiten Vatikanum verbundene Kirchenkonzeption unterschrieb, habe man die Notwendigkeit erkannt, mit dem Verdacht nach außen zu treten, um einen »Hinauswurf« begründen können.
Dass die katholische Kirche bei linientreuen homosexuellen Laien, die nach außen hin ein heterosexuelles Leben führen, auch anders kann, zeigte im Herbst 2009 der Fall Boffo. Demonstrativ stellte sich das päpstliche Staatsekretariat samt Chef, dem sonst nicht so schwulenfreundlichen Kardinal Bertone, hinter den äußerst papst- und kurientreuen Chefredakteur der katholischen Zeitung L'Avvenire, Dino Boffo. Und das, obwohl er zuvor von der Zeitung II Giornale als homosexuell geoutet worden war. Obgleich Boffos »sexuelle Präferenzen in Rom ein offenes Geheimnis sind«, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 11. Dezember 2009 schrieb, hielt ihm der Vatikan energisch die Stange. Der Grund: Man konnte Boffo, der sich stets streng an die Regeln des heiligen Scheins hielt, als unermüdlichen Verteidiger der kirchlichen Sexuallehre und Kämpfer gegen die moralische »Diktatur des Relativismus« gut gebrauchen. Wäre er nicht wenige Tage später von sich aus von seinem Amt zurückgetreten, wäre er jetzt wohl noch Herausgeber von L’Avvenire.
Auch in Deutschland gibt es einen verhältnismäßig prominenten katholischen Journalisten, der in kirchennahen Kreisen Karriere gemacht hat und noch macht, nach außen eine traditionelle Ehe führt und durch große Papstbegeisterung sowie sein Engagement gegen Abtreibung und eingetragene Partnerschaften für gleichgeschlechtliche Paare glänzt, und der gleichzeitig seinen eigentlichen sexuellen Bedürfnissen noch bis vor kurzem sehr diskret in den schwulen Szenen von Köln und Berlin nachgegangen ist.
Weniger tolerant zeigte sich die Kirche gegenüber dem Journalisten und katholischen Priester Michael Broch, der im August 2010 auf Intervention von Kardinal Meisner und des Vatikans von seinem Amt als Leiter des katholischen »Instituts zur Förderung des publizistischen Nachwuchses« zurücktreten musste. Der Grund: Broch hatte laut gesagt, was in der Kirche derzeit fast alle denken, aber kaum einer auszusprechen wagt, nämlich dass sich die Kirche durch ihre antiquierte Sexualmoral und klerikale Bunkermentalität zunehmend ins
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