Der heimliche Rebell
Anschuldigungen fielen Schlag auf Schlag, ein verworrenes Lärmen wollüstigen Trubels.
An Allens Seite drängte sich seine Frau gegen ihn. Er konnte ihr Entsetzen und ihre Furcht spüren, und er legte seinen Arm um sie. Bald würde die Stimme auch ihn in Stücke reißen.
Um Viertel nach neun schien die Fraktion, die Miß J. E. halbherzig verteidigte, einen leichten Vorteil gewonnen zu haben. Nach einer kurzen Beratung ließ der Rat der Bloc k warte das Mädchen mit einer mündlichen Ermahnung zi e hen, und sie schlüpfte dankbar aus dem Raum. Mrs. Bi r mingham hob erneut die Angeklagtenliste.
Mit Erleichterung vernahm Allen seine eigenen Initialen. Er trat vor und hörte dabei den gegen ihn erhobenen Vo r würfen zu, froh, es hinter sich zu bringen. Der Pimpf hatte – Gott sei Dank! – nur den erwarteten Bericht erstattet.
„Es ist bezeugt“, verkündete Mrs. Birmingham, „daß Mr. A. P. in der Nacht des 7. Oktober 2114 um elf Uhr dreißig in betrunkenem Zustand nach Hause gekommen und auf der Vordertreppe der Wohneinheit gestürzt ist und im Auge n blick seines Falls lautstark ein moralisch verwerfliches Wort ausgesprochen hat.“
Allen kletterte auf das Arme-Sünder-Podest, und das Ve r fahren begann.
Es bestand immer die Gefahr, daß irgendwo im Raum ein Bürger lauerte, der einen Pik auf Allen hatte, einen tiefsi t zenden, nur für eine Gelegenheit wie diese genährten und aufgespeicherten Haß. Im Laufe der Jahre, die er als Mieter in dieser Wohneinheit zugebracht hatte, konnte Allen leicht irgendeiner namenlosen Seele eine Kränkung zugefügt h a ben; da der menschliche Geist nun einmal so war, wie er war, konnte er eine unermüdliche Rache ausgelöst haben, indem er sich in der Schlange vordrängelte, zu nicken ve r säumte, jemandem auf die Zehen trat oder ähnliches.
Aber als er sich umschaute, registrierte er keine außerg e wöhnlichen Emotionen. Keiner funkelte ihn dämonisch an, und keiner außer seiner Frau, die wie vom Schlag gerührt dasaß, schien auch nur sonderlich interessiert zu sein.
Wenn er die Harmlosigkeit der Anklage bedachte, hatte er allen Grund, sich optimistisch zu fühlen. Alles in allem war er noch ganz gut dran. Eigentlich konnte er seinem Samme l ankläger guten Mutes entgegentreten.
„Mr. Purcell“, sagte die Stimme, „Sie haben recht lange nicht mehr vor diesem Tribunal gestanden.“ Sofort beric h tigte sie sich: „Mr. A. P. wollte ich sagen.“
„Seit einigen Jahren nicht mehr“, antwortete er.
„Wieviel haben Sie getrunken?“
„Drei Gläser Wein.“
„Und davon waren Sie betrunken?“ Die Stimme gab sich selbst Antwort auf ihre Frage: „So lautet die Anklage.“ Eine Weile lag die Stimme in heftigem Widerstreit mit sich selbst, und dann tauchte aus dem Durcheinander eine klar verständliche Frage auf. „Wo haben Sie sich betrunken?“
Weil er freiwillig keine unnötigen Informationen preisg e ben wollte, hielt Allen seine Antwort kurz. „Auf Hokkaido.“ Mrs. Birmingham hatte davon ohnehin schon Kenntnis, also machte es nichts mehr aus.
„Was haben Sie dort gemacht?“ fragte die Stimme. Dann sagte sie: „Das ist nicht von Bedeutung. Das hat nichts mit der Anklage zu tun. Halten Sie sich an die Fakten. Was er gemacht hat, bevor er sich betrank, muß uns hier nicht kümmern.“
Für Allen klang das wie Janet. Passiv verfolgte er das G e rangel.
„Das muß uns hier sehr wohl kümmern. Das Gewicht der Tat hängt immer von den dahinterstehenden Motiven ab. Hat er geplant, betrunken zu werden? Niemand plant, betrunken zu werden. Ich glaube kaum, daß er das wissen kann.“
Allen sagte: „Ich habe den Wein auf leeren Magen g e trunken, und ich bin nicht an alkoholische Getränke, gleich welcher Art, gewöhnt.“
„Und was ist mit dem Wort, das er gebraucht hat? Was soll denn damit sein? Wir wissen ja nicht mal, welches es gewesen ist. Das ist auch gar nicht nötig. Wieso, glauben Sie etwa, daß er ein Mann von der Sorte ist, die ,solche’ Worte leichtfertig im Munde führen? Ich habe doch nur gemeint, daß es die Sachlage nicht ändert, ob wir nun dieses Wort im besonderen erfahren oder nicht.“
„Und ich war müde“, fügte Allen hinzu. Die Jahre der Medienarbeit hatten ihn den kürzesten Weg zur typischen MoRes-Seele gelehrt. „Obwohl es Sonntag war, hatte ich den ganzen Tag im Büro verbracht. Ich nehme an, ich habe mehr gearbeitet, als für meine Gesundheit gut war, aber ich habe meinen Schreibtisch halt am Montag gerne
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