Der heimliche Rebell
weit weg, an einem der Tische, saß ein sanftes ältl i ches Männchen mit dünner werdendem Haar und einem hö f lichen, steifen Lächeln. Mr. Wales schaute kurz zu Allen hinüber und wandte sich dann hastig wieder ab.
„Der war es“, sagte Allen bestimmt. „Wales.“
„Bist du ganz sicher?“
Die nächste Angeklagte stand schon oben auf dem P o dest, und Mrs. Birmingham begann gerade, die Anklage zu verlesen. „Es ist bezeugt, daß Mrs. R. M. wissentlich und willentlich am Nachmittag des 9. Oktober 2114 an einem öffentlichen Ort und im Beisein von Männern wie Frauen den Namen des HERRN ohne Grund im Munde geführt hat.“
Die Stimme sagte: „Was für eine Zeitverschwendung.“ Und sofort entbrannte die Kontroverse.
Nach der Versammlung sprach Allen Wales an. Der Mann hatte sich draußen vor der Tür herumgedrückt, als warte er auf ihn. Allen hatte ihn ein paarmal in der Ei n gangshalle bemerkt, aber er konnte sich nicht erinnern, j e mals mehr als ,Guten Morgen’ zu ihm gesagt zu haben.
„Sie waren das also“, sagte Allen.
Sie tauschten einen Händedruck. „Ich bin froh, daß ich Ihnen aus der Patsche helfen konnte, Mr. Purcell.“ Wales’ Stimme war farblos, vollkommen durchschnittlich. „Ich h a be gesehen, wie Sie für das Mädchen gesprochen haben. Sie helfen immer den Leuten da oben, und darum sagte ich mir: ,Wenn er jemals selber da hinauf muß, werde ich dasselbe für ihn tun.’ Wir alle mögen und respektieren Sie, Mr. Pu r cell.“
„Danke“, sagte Allen linkisch.
Als er und Janet zurück auf ihre Etage gingen, sagte J a net: „Was ist denn los mit dir?“ Die Tatsache, daß sie der Versammlung entronnen war, hatte sie in einen wahren Freudentaumel versetzt. „Warum schaust du bloß so mü r risch drein?“
„Weil ich zufällig mürrisch bin“, knurrte Allen.
8
Doktor Malparto sagte: „Guten Morgen, Mr. Coates. Bitte legen Sie doch ab und nehmen Sie Platz. Wir wollen uns hier doch ganz wie zu Hause fühlen, nicht wahr?“
Und dann wurde ihm plötzlich ganz seltsam und elend zumute, weil der Mann ihm gegenüber nicht ,Mr. Coates’ war, sondern Allen Purcell. Mit einer rasch gemurmelten Entschuldigung sprang Malparto auf und eilte hinaus auf den Flur. Er bebte vor Erregung. In seinem Sprechzimmer ließ er den einigermaßen verwirrten Allen Purcell zurück, einen großen, gutaussehenden, fast zu ernst wirkenden Mann Ende Zwanzig, der einen schweren Überzieher trug. Nun also war er da, der Mann, auf den Malparto gewartet hatte. Aber daß er so bald kommen würde, damit hatte er nicht gerechnet.
Mit seinem Schlüssel schloß Malparto die Registratur auf und zog Purcells Dossier heraus. Er überflog kurz den I n halt, während er in sein Büro zurückkehrte. Der Bericht war so kryptisch wie eh und je. Da hatte er nun sein kostbares –Gramm, und doch ließ sich der Symptomkomplex nicht auf eine einfache Formel zurückführen. Malparto seufzte vor Entzücken.
,,’tschuldigung, Mr. Purcell“, sagte er, als er die Tür hi n ter sich zuzog. „Tut mir leid, daß ich Sie habe warten la s sen.“
Sein Patient runzelte die Stirn und sagte: „Bleiben wir bei ,Coates’. Oder ist der müde alte Gag mit der ärztlichen Ve r traulichkeit inzwischen ausrangiert worden?“
„Dann eben Coates.“ Malparto nahm wieder Platz und setzte seine Brille auf. „Mr. Coates, ich will offen sein. Ich habe schon mit Ihrem Kommen gerechnet. Vor rund einer Woche fiel mir Ihr Enzephalogramm in die Hände, und ich ließ sofort eine Dickson-Auswertung davon machen. Das Profil ist einzigartig. Ich bin sehr an Ihnen interessiert, und es verschafft mir eine tiefe persönliche Befriedigung, befaßt zu sein mit Ihrem…“ Er hüstelte. „Problem.“ Er hatte gerade angesetzt, Fall zu sagen.
In dem bequemen Ledersessel verlagerte Mr. Coates u n ruhig sein Gewicht. Er zündete sich eine Zigarette an, blic k te finster, nibbelte an der Bügelfalte seiner Hose. „Ich bra u che Hilfe. Es ist einer der Nachteile der MoRes, daß ni e mand Hilfe gewährt wird; statt dessen wird man als unz u länglich ausgestoßen.“
Malparto nickte zustimmend.
„Außerdem“, sagte Mr. Coates, „hat Ihre Schwester mich angesprochen.“
Wie entmutigend das für Malparto war! Nicht nur hatte Gretchen sich eingemischt, sondern sie hatte sich auch noch klug eingemischt. Mr. Coates wäre zwar schließlich ohnehin gekommen, aber Gretchen hatte die Wartezeit auf die Hälfte verkürzt. Er fragte sich, was für einen
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