Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)
Speichenarm die sieben Glas-Aluminiumkugeln, in denen Wohnzonen, Geschäftssektoren, Agrarzonen, Erholungs-Freizeitanlagen und die geschützten Waldregionen untergebracht waren. Während der Fahrt, der Aufzug sank, und dabei stieg die Schwerkraft in den Randsiedlungen bis auf Ge-1, sah man auf den benachbarten Speichenarmen den scharfen Widerschein der Sonne, und ab und zu, hundertfünfzigtausend Kilometer entfernt, flüchtig den gewaltigen Wulstwanst der Erde, der den Himmel ausfüllte; und man sah auf den anderen nahen Umlaufbahnen die zahlreichen anderen bewohnten Künstlichen Welten. »Wie ein ganzer Fischschwarm von Glitzerquallen, die in einem tiefschwarzen Meer tanzen« – das sagten sie alle, die von der Erde hier heraufkamen. Juanito verstand nicht, wie ein Fisch aus Gallert sein sollte oder wieso ein Raumhabitat wie ein ›Fisch‹ aussehen sollte. Aber diese Leute sagten solchen Quatsch immer wieder.
Farkas verlor kein Wort über ›Quallenfische‹. Aber er schien irgendwie dennoch die Aussicht in sich aufzunehmen. Konzentriert stand er ganz dicht an der gläsernen Wandung des Aufzugs, klammerte sich an die Haltestange und sprach kein Wort. Hin und wieder gab er einen leisen Zischlaut von sich, wenn draußen etwas besonders Beeindruckendes vorüberzog. Juanito betrachtete ihn aus den Augenwinkeln. Was konnte der Mann denn sehen? In den verschatteten Kuhlen, die er statt Augen besaß, regte sich anscheinend überhaupt nichts. Und dennoch sah er auf irgendeine Weise durch diesen breiten, schimmernden leeren Hautstreifen über seiner Nase.
Es war verdammt beunruhigend. Richtig unheimlich.
Im San Bernardito gaben sie Farkas ein Außenzimmer mit Blick auf die Sterne. Juanito schmierte das Hotelpersonal entsprechend, damit seine Klienten angemessen gut behandelt würden. Das hatte ihm schon sein Vater beigebracht, als er noch ein ganz kleines Kerlchen gewesen war, nicht einmal alt genug, eine Schwarzschild-Irregularität von einem letzten Trumpf in der Hand zu unterscheiden. »Bezahl für das, was du haben willst und brauchen wirst«, hatte sein Vater ihm immer wieder gesagt. »Kauf es, dann hast du wenigstens eine Chance, wenn du was brauchst.« Sein Vater war zur Zeit des Empire in Mittelamerika ein Revolutionsführer gewesen. Und wenn der Umsturz erfolgreich verlaufen wäre, wäre er Premierminister des Landes geworden. Aber es war anders gekommen.
»Wünschst du, dass ich dir beim Auspacken helfe?«, fragte Juanito.
»Ich komme schon zurecht.«
»Klar«, erwiderte Juanito.
Er trat ans Fenster und blickte hinaus in den Himmel. Wie alle anderen Satellitenwelten auch war Valparaiso Nuevo durch eine drei Meter dicke Isolationsverschalung, die mit Lunarschotter gefüllt war, gegen schädliche kosmische Strahlung und streunende Meteoriten abgeschirmt. An der Außenwandung gab es v-förmige verspiegelte Öffnungen, die das Sonnenlicht durchließen, nicht jedoch die harte Strahlung. Das Hotel hatte es sich angelegen sein lassen, die Räume so anzulegen, dass man von jedem Zimmer auf dieser Seite aus durch die V-Schlitze einen Weltraumblick bekam. Inzwischen hatte sich die ganze Stadt Cajamara in Richtung Weltraumdunkel gedreht, und die Sterne waren scharf blitzend sichtbar.
Als Juanito sich vom Aussichtsfenster abwandte, sah er, dass Farkas bereits selbst seine Kleider säuberlich in den Schrank gehängt hatte und sich nun geschickt und exakt mit einem kleinen Handlaser rasierte.
»Darf ich dir eine persönliche Frage stellen?«, sagte Juanito.
»Du willst wissen, wie ich sehen kann.«
»Ja. Es ist ziemlich erstaunlich. Muss ich sagen.«
»Ich kann nicht sehen. Nicht richtig in eurem Sinn. Und ich bin wirklich so blind, wie du denkst.«
»Aber wie kommt es dann …?«
»Man bezeichnet es als Blindsichtigkeit«, sagte Farkas. »Propriozeptives Sehvermögen.«
»Wie?«
Farkas lachte leise. »Die Welt ist voll von Daten, die nicht in Form von reflektiertem Licht auftreten, wie deine Augen es sehen. In diesem Zimmer hier vibrieren Millionen von Impulsen neben denen, die zufällig im visuellen Bereich des elektromagnetischen Spektrums liegen. Luft streicht um Gegenstände und wird davon verändert. Aber nicht nur die Luftbewegungen, auch Dinge, Gegenstände besitzen eine eigene Masse, haben eine Wärmestrahlung, sie haben – aber das Wort wird dir nichts sagen – Gestaltgewicht. Eine Qualität, die mit der Wechselwirkung von Masse und Form zu tun hat. Sagt dir das was? Nein? Das dachte ich mir. Aber
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