Der Henker von Lemgo
dargeboten und ihn dann zutiefst beleidigt
hatte, indem sie ihm diesen wieder entzog. Sie hatte nicht nur seine
Männlichkeit verletzt, sie hatte ihn tief getroffen, bis auf den Grund seiner
Seele. Doch er liebte Maria bereits viel zu sehr, als dass er sie gewaltsam
nehmen würde.
Enttäuscht kletterte
er von ihr herunter und ging vor der Bettstatt auf und ab. In der niedrigen
Stube wirkte seine Gestalt besonders groß und kräftig. Er musste gebückt gehen,
um sich nicht den Kopf an den Balken zu stoßen.
»Du bist vor deiner
Gefangennahme weggelaufen, habe ich recht?«, knurrte er. »Stadtsekretär Krieger
hatte mich zu einer peinlichen Gegenüberstellung auf den Hexenturm rufen
lassen. Ich musste unverrichteter Dinge wieder abziehen, da die Hexe geflohen
war. Dachte ich’s mir doch fast, dass es sich um dich handelt. Den Weg hierher
hättest du dir sparen können.«
»Ich wollte deinen
Zorn nicht heraufbeschwören, David!«, versuchte sie, ihn zu beschwichtigen,
bereute aber sogleich ihre Worte. Schmerzlich spürte sie, dass sie ihn verletzt
hatte. »Es ist die ungewohnte Umgebung, die mich schwach werden ließ. Du darfst
meine Gefühle für dich nicht ausnutzen.« Ihre Empfindungen straften die mühsam
beherrschten Worte Lügen. Zu lange hatte sie die emotionalen Regungen
unterdrückt. Ihr Körper schrie regelrecht nach ihm.
»Oh, David!« Sie
schob die Beine unter der Decke hervor, setzte sich aufrecht hin und hob
beschwörend die Hände. »Damals war es nur ein einziger Kuss, aber du weißt ja
nicht, was er in mir ausgelöst hat. Wie viele Nächte ich von dir geträumt habe,
wie oft sich unsere Körper in wilder Leidenschaft vereinten, wie viele Wonnen
und Zweifel die Erinnerung daran immer wieder in mir auslöste, als ich wegen
des Hexengerüchts von Brautwerbern abgewiesen wurde. Seitdem sind Jahre ins
Land gegangen, und heute bin ich Hermann Hermessens Ehefrau. Es wäre nicht
rechtens, deine Liebe zu erwidern, doch in der allergrößten Not vertraute ich
auf sie, auch wenn mich nun erneut die Leidenschaft zu dir übermannte.« Die
letzten Worte hatte sie leise ausgesprochen.
David hielt inne und
blieb vor ihr stehen. Nachdenklich schaute er auf sie hinab. »Wenn du mich so
liebst, warum hast du diesen Hermann dann geheiratet? Hat ihn dir dein Vater
aufgezwungen, damit du dein Leben nicht als alte Jungfer beschließen musst?«
Sie schüttelte den
Kopf. »Das würde mein Vater mir niemals antun.« Aufrichtig sah sie ihm in die
Augen. »Ich liebe Hermann – genauso wie ich dich liebe.«
»Kann eine Frau denn
zwei Männer mit der gleichen Leidenschaft lieben? Ich dachte, das tun nur
Huren.« Er grinste zynisch. »Du bist eine schlechte Lügnerin, Maria. Ich habe
mit deinem Vater schon so manchen Krug Bier ausgesoffen. Die Schmach, seine
Töchter unverheiratet zu wissen, hat ihn gewiss bewogen nachzuhelfen.«
»Du tust mir
unrecht, David! Ich bin keine Hure, aber du bist der Scharfrichter. Mehr als
eine deiner Geliebten hätte ich nie werden können.« Sie blickte ihn flehentlich
an. Warum begriff er nur nicht, wie sehr sie litt? »Gott hat uns für unsere
Liebe bereits gestraft, indem er uns die fleischlichen Gelüste verwehrt und uns
Leiden auferlegt hat!«
Sein Unmut
verrauchte, und seinen Mund umspielte wieder jenes verführerische Lächeln, das
sie so an ihm liebte. »Ich kann den Bürgermeister durchaus verstehen. Du bist
ein überaus listiges und verschlagenes Hexenweib, das andere behände verführen
und bestricken kann.«
Er zog einen
Holzstuhl mit einer ausladenden Armlehne heran und ließ sich neben ihr nieder.
Die muskulösen Arme ineinander verschränkt, die Beine in den hohen Stiefeln
übergeschlagen, so beobachtete er sie. »Verzeih dem Mann in mir das
Temperament. Auch ich habe die Umarmung im Rathaus nie vergessen können. Du
warst für mich immer eine Versuchung wert, weil auch ich die Liebe und
Leidenschaft in mir verspürte. Ich habe sie versucht zu unterdrücken, eben weil
ich der Henker von Lemgo bin und eine ehrbare Bürgerstochter nicht in Verruf
bringen wollte. Doch diesmal hat uns der Herr in meinem Haus zusammengeführt.
Das ist ein Zeichen. Ich glaube nicht, dass er etwas dagegen hätte, würdest du
mein Begehren erwidern. Ehebruch, Biersaufen und Händel gehören doch zu unserem
alltäglichen Leben. Warum sollten ausgerechnet wir beide eine Ausnahme machen?«
Abermals ergriff er ihre Hände und führte sie an seine Lippen. Sein Blick war
eine einzige Frage.
»Nein,
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