Der Henker von Lemgo
bis die Adern stramm
hervortraten, dann brüllte er: »Das ist eine infame Lüge, ehrwürdiger Richter!«
In seinem Zorn und
seiner verletzten Ehre vergaß er, wem er gegenüberstand, und machte unüberlegt
einen Schritt nach vorn. Darauf hatte Cothmann nur gewartet und gab den
Knechten ein Zeichen. Lauthals sprangen sie von hinten heran und ergriffen
David. Ohne Weiteres hätte er die Knechte von sich abschütteln können, doch ein
Blick in Cothmanns Augen genügte, um zu wissen, wie er sich zu verhalten hatte.
Der Bürgermeister wartete nur darauf, dass er weitere Fehler beging, doch die
Blöße wollte er sich nicht geben und verhielt sich abwartend. Wie ein Baum
stand er zwischen den beiden Knechten und fixierte Cothmann durch schmale
Augen.
Zwischen den
Zuschauern war es unruhig geworden. Ausrufe wie »Buuuh!« und »Cothmannen,
verpisst Euch!« wurden laut. Gleichfalls traten die Ratsmänner Bohne,
Rampendahl und Prott hervor und gesellten sich an seine Seite.
»Vielleicht verfügt
das Weib ja über ein Vermögen, Bürgermeister?«, lenkte Rampendahl geschickt
ein. »Wäre es nicht möglich, die Angelegenheit auf diese Weise zu regeln?«
»Ach, sieh an! Der
Ratsherr Rampendahl legt sich also für den Henker ins Zeug. Interessant, interessant.
Seid Ihr nicht der Vater einer stadtbekannten Hexe, und Ihr, Kämmerer Johann
Prott, habt Ihr nicht selbst als sein Nachbar die selige Agnesa, Meister Davids
Frau, als Hexe bezichtigt?« Vor dem Ratsherrn Johann Bohne deutete er eine
leichte Verbeugung an. »Von Euch, Chirurgus, hätte ich allerdings keinen
Fürspruch für den Scharfrichter erwartet.«
Er wandte sich
wieder David zu. »Euer Ungehorsam übersteigt langsam unsere Geduld, Meister
David. Erst verwehrt Ihr uns die geforderten Hunde-Hänschen ,
die Ihr Bürgermeister Kerckmann immer pünktlich im Mai geliefert habt, dann
besauft Ihr Euch, spielt am heiligen Sonntag vor der Nachmittagspredigt mit
Eurem Schwager ein Instrument im ›Kruge‹ und grölt säuische Lieder dazu, und
heute weigert Ihr Euch, die Frau zu stäupen. Alle Vorfälle sind ein gewaltiger
Akt des Ungehorsams und eines Scharfrichters nicht würdig. Aber das
Verwerflichste Eures unziemlichen Lebenswandels ist, dass Ihr einer Hexe
Unterschlupf gewährt habt.«
»Gott ist mein
Zeuge, ich bin mir keines Ungehorsams bewusst«, antwortete David laut. »Der
Hohe Rat hat seine zwölf Paar Handschuhe immer von mir erhalten, Schuster
Balthasar Bitter kann das bezeugen. Er hat dreißig Jahre lang aus meinen Fellen
Handschuhe gefertigt, und auch mein Schwager hat sich keines Frevels schuldig
gemacht. Wir gingen davon aus, dass am Sonntag Jahrmarkt auf dem Markt ist und
alle Leute sich vergnügen. Und das mit der Hexe ist nur ein Gerücht!«
Kalt musterte
Cothmann die Ratsmänner. Er versuchte Zeit zu gewinnen und tauschte mit Krieger
einen Blick, bevor er den Knechten befahl, die Frau loszubinden. Er hatte nicht
vorgehabt, sich auf einen Wortwechsel mit dem Scharfrichter vor aller
Öffentlichkeit einzulassen, doch zumindest eine Lektion wollte er dem
ungehorsamen Henker erteilen. Gemeinsam mit Krieger stieg er die Stufe vom
Podest hinab und winkte David, ihm zu folgen, sorgsam darauf bedacht, dass auch
die Knechte sie begleiteten. Im Gewölbe des Rathauses ordnete er nachdenklich
mit spitzen Fingern seinen Überrock, während er die Weste aus feinem Brokat
zurechtstrich und den Straßenschmutz von den hellblauen Strümpfen entfernte.
Krieger beobachtete
ihn mit gerunzelter Stirn. »Was fangen wir nun mit dem Henker an?«, fragte er.
»Wir haben rechtlich nichts in der Hand, um ihn für seinen Ungehorsam zu
strafen. Ginge es nach mir, so würde ich diesem widerspenstigen, respektlosen
und pflichtvergessenen Menschen fünfzig Taler Brüchtenstrafe auferlegen und ihn
bei Verlust seines Dienstes und Vermeidung schärferer willkürlicher Strafe zu
Gehorsam anhalten.«
»Ich glaube nicht,
dass wir ihn damit in die Knie zwingen, mein Freund«, erwiderte Cothmann und
winkte den Henker heran.
Davids schwere
Schritte hallten laut in dem Gewölbe wider. In seinem Rücken folgten die
Stadtdiener. So wie es ihnen befohlen worden war, hielten sie die Flintenläufe
auf ihn gerichtet.
»Mir ist etwas
Wirksameres eingefallen«, grinste Cothmann und wandte sich an den
Scharfrichter. »Wir, die hohen Herren vom Rat, sind gerade gewillt, den
Barbierchirurgen von Lemgo ihren lang ersehnten Amtsbrief zu erteilen.
Gleichfalls ordnen wir an, dass Euch, Meister David,
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