Der Henker von Lemgo
David für deine Maria empfindet und sie für ihn, du schenkst
ihr ein neues Leben. Sie wird dir folgen, nicht dem Mann, der ihr qualvolle
Schmerzen bereitet hat und sie gewissenlos töten würde. Maria ist nicht nur
deine Ehefrau und Geliebte, sondern auch ein Mensch mit Fehlern und
Sehnsüchten. Vor Gott hast du geschworen, ihr in guten und in schlechten Tagen
treu zu sein. Damit hast du nicht nur ihre Schönheit und ihren Mut, sondern
auch all ihre Fehler geehelicht.«
Durch Hermann ging
ein Ruck, als würde er aus einem tiefen Schlaf erwachen. Dankbar legte er seine
Hand auf Antons Handschuh. »Wenn ich dich nicht hätte, mein Bruder! Wer könnte
meine Zweifel besser verstehen als du. Ich liebe Maria viel zu sehr. Ich werde
ihr immer verzeihen, egal, was passiert ist. Ohne ihre Nähe, ihre großen blauen
Augen, ihr rotgoldenes Haar und ihren herrlichen weißen Körper hätte das Leben
für mich keinen Sinn mehr. Außerdem ist sie die Mutter meiner Kinder und meine
beste Assistentin in einer Person.« Befreit gab er dem Pferd die Sporen, und
gemeinsam galoppierten die Brüder Hermessen auf die wogende Menschenmenge zu.
»Nachdem uns die
Inquisitionsakte wider Maria Rampendahl, Hermann Hermessens Eheweib,
zugeschickt und unser Rechtsbescheid darüber begutachtet wurde, sprechen wir
demnach vor Recht; dass in Mangelung anderweitiger ungenügsamer Indizien zwar
wider benannte Inquisitin nicht mehr vernommen werden darf, sie aber gleichwohl
den Umständen nach, nebst Abtrag der aufgelaufenen Unkosten, mit der
Landesräumung zu belegen ist!«
Cothmanns Hände
zitterten ebenso wie seine Stimme, als er die Worte zum zweiten Mal laut
verlas. Mit seitlich geneigtem Kopf lauschte er dem hohl von den Wänden
widerhallenden Echo, verblüfft über das, was sein Mund soeben ausgesprochen
hatte. Ein körperliches Wrack, innerlich gebrochen, um den größten Erfolg
seines Lebens gebracht, ein schwer kranker Mann, so stand der hohe Richter
Hermann Cothmann hinter der Kanzel des Rathaussaales und hielt noch immer
fassungslos den Brief mit dem erbrochenen Siegel der Universität in der Hand.
Vor der Kanzel
wartete ungeduldig und heftig atmend Anton in nasser, von Pferdeschweiß und
Straßenstaub verschmutzter Reisekleidung. Im Hintergrund empfing Hermann Maria
aus den Armen eines Knechtes. Sie hinkte stark und musste gestützt werden.
David stand hinter ihr. Obwohl es allen Anwesenden so schien, als richte er den
Blick unbeteiligt über ihren Kopf hinweg, entging den dunklen Augen doch keine
einzige ihrer Bewegungen.
Langsam wanderte
Cothmanns Blick wieder zum Advokaten Roleman zurück. Mit gerunzelten Brauen
registrierte er das Aufleuchten in dessen Augen. Freu dich ja nicht zu früh,
dachte er und suchte nach Krieger wie nach einem rettenden Anker. Der stand vor
der Steinbrüstung am Fenster und versuchte gerade, sich selbst übertönend, den
aufgebrachten Pöbel zu beruhigen. Als Cothmanns Augen Maria trafen, verzerrten
sich seine eingefallenen Züge zu einer grinsenden Maske. Durch die Existenz
dieses vermaledeiten Briefes war er gezwungen, tatenlos zuzusehen, wie sich
Maria und Hermann in ihrer Wiedersehensfreude küssten. Diese Schmach schmerzte
stärker als alle Schmerzen, gegen die er seit Jahren ankämpfte. Er musste sich
davon befreien. Mit einer heftigen Handbewegung fegte er das Beweismaterial
ihrer Zauberkunst, das Strumpfband und das kleine schwarz-goldene Buch des
Hexenmeisters Beschoren, von der Kanzel. Ein nur wenige Minuten zu früh
eingetroffener Brief hatte sein Lebenswerk zunichtegemacht. Oh, wie er diese
Hermessens, diese reichen Emporkömmlinge, hasste! Ein Wort von ihm, und ihr
Leben wäre keinen Gulden mehr wert gewesen.
Eben war er noch
Herrscher zwischen Himmel und Hölle gewesen, hatte sämtliche Argumente des
Verteidigers überlegen entkräftet und lediglich auf seine Forderung gnädig
eingelenkt, einige unbedeutende Aussagen wie zum Beispiel die des Ratsherrn
Rullmann zu streichen. Meister David hatte schon wartend bereitgestanden, um
die Angeklagte zum Richtplatz zu fahren, wo ihr, gemäß ihrem Stande, öffentlich
der Kopf vom Haupte getrennt werden sollte. Lediglich der grölende Pöbel vor
dem Rathaus und die Wetterunbilden hatten ihn noch davor zurückgehalten, die
hochnotpeinliche Gerichtsverhandlung auf dem Marktplatz abzuhalten.
Die Mitglieder des
Hohen Rates warteten derweil allesamt vor dem Rathaus in ihren Kutschen,
bereit, nach der Urteilsverkündung zur Sandkuhlen zu fahren, wo
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