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Der Henker von Lemgo

Der Henker von Lemgo

Titel: Der Henker von Lemgo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Szrama
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die
Delinquentin verbrannt werden würde.
    Einige Male hatte
Cothmann schon versucht, die Anklage am geöffneten Fenster des Rathauses zu
verlesen, hatte aber das Vorhaben unterbrechen müssen, weil er vom Pöbel mit
Steinen und Kot beworfen worden war. Sogar eine Butzenscheibe war zu Bruch
gegangen. In tausend kleinen Splittern war sie auf den Parkettboden gefallen,
und Krieger hatte hastig versucht, das Loch mit einem der schweren Samtvorhänge
zu stopfen.
    Am meisten aber
ärgerte den Bürgermeister das Geschrei des Ratsherrn Rampendahl. Breitbeinig
stand er auf der Tribüne vor dem Rathaus und drohte ihm mit hocherhobener
Faust: »Der Herr Richter und die Cothmannen sollen sich herausscheren, damit
das Volk urteilen kann, ob dieser Prozess gerecht geführt wird! Hermann
Cothmann, gib meine Tochter heraus! Wenn du nicht gleich erscheinst, werden wir
dich an deiner Perücke aus dem Rathaus zerren!« Grölender Beifall hatte seine
Worte begleitet.
    Der Stadtsekretär im
Fenster war blass geworden, hatte überlegt, ob es nicht doch ein Fehler gewesen
war, den Dechen von der Verhandlung auszuschließen. Allem Anschein nach schien
der Ratsherr mit seinen Drohungen Ernst machen zu wollen. Gerade griff er sich
von einem der Stadtdiener, die grinsend zusahen, eine Flinte und feuerte zur
Bekräftigung einen Schuss in die Luft ab. Alles sah nach einer ernsthaften
Revolte aus. Das Volk auf dem Markt stand auf der Seite des Dechen. Es wollte
sich vom Rat nicht mehr ausnehmen lassen, wollte nicht mehr im Feuer schmoren
wie eine Weihnachtsgans und begleitete deshalb jedes von Cordts ketzerischen
Worten mit einem kräftigen Brüllkonzert. Es hörte sich an wie ein
heranrollender Orkan.
    Krieger schloss das
Fenster und blickte missmutig durch das Butzenglas. Diesem Pöbel haben wir nun
versucht, Ordnung beizubringen, dachte er. Undank ist der Welten Lohn! Er war
sich keiner Schuld bewusst.
    Den Ehevogt der
Rampendahls beeindruckte das Geschrei nicht, eher bestärkte es ihn in seinem
Vorhaben. Jedes seiner Worte in den geheiligten Räumen saß wie ein gut
gezielter Degenhieb. »Der Nachweis für Marias Unschuld scheint Euch, Herr
Richter, nicht genehm zu sein! Euch scheint es nicht darum zu gehen, ob Maria
Rampendahl eine Zauberin ist. Viel eher ist sie Euch zu reich geworden. Deshalb
wolltet Ihr sie nicht nur um ihr Leben bringen, sondern Euch bei dem Prozess
gleich noch etwas für Gerichtsgebühren und andere Unkosten sichern.«
    Nach und nach
begriffen die Anwesenden, dass es dem Advokaten in seiner Verteidigung nicht
mehr nur allein um die Angeklagte ging, die von Anfang an nur ein
Mosaiksteinchen seines eigenen Kampfes gegen den Richter gewesen war. Fast
jeder im Raum hing gebannt an seinen Lippen und fragte sich: Wer ist dieser
Roleman?
    Cothmann maß ihn
argwöhnisch und flüsterte Krieger etwas zu, der daraufhin leise zum
Aktenschrank lief und zwischen den Dokumenten nach etwas Bestimmtem suchte. Als
er mit einer schwarzen Akte unter dem Arm zurücktrippelte und sie dem Richter
geöffnet auf die Kanzel legte, zitterten Cothmanns Hände kaum merklich, und
er fasste den Advokaten scharf ins Auge. Er dachte daran, wie noch vor wenigen
Augenblicken die Tür aufgerissen worden war und die Hermessen-Brüder mit dem
Gutachten der Universität in den Händen hereingestürzt waren. Einen Augenblick
später, und er hätte das Zeichen zur Urteilsverkündung gegeben gehabt. Alles
wäre nach seinen Wünschen abgelaufen – wie bei der Folter, deren Gutachten er
auch erst viel später an die Universität abgeschickt hatte, um eine etwaige
Ablehnung der Tortur hinauszuzögern. Die sechs Männer, die ihn mit Pistolen und
Flinten auf seinem Weg zur Tribüne abschirmen sollten, warteten schon eine
geraume Weile auf seinen Befehl. Schließlich war er ein Vertreter Gottes und kein
feiger Mann. Umgeben von den Männern des Hohen Rates, wollte er ein letztes Mal
mit starker Hand Gehorsam von den Leuten fordern und dem Teufel die Stirn
bieten. Doch jetzt hatten sich alle gegen ihn verschworen.
    Hatte er nicht auch
ein heimliches, triumphierendes Funkeln in den Augen des Scharfrichters
entdeckt? Und der Chirurgus, hatte er nicht gerade mit Maria über ihn
getuschelt?
    Sein Blick sog sich
an Marias eingefallenen Zügen fest. Mit ihr hatte sein Unglück begonnen. Zuerst
hatte sie ihn behext und dann ihren Zauber an ihm ausprobiert. Nur da sie auf
der Folter dies mit keinem Wort bekannt hatte, war die Begnadigung zur
Landesverweisung möglich

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