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Der Henker von Lemgo

Der Henker von Lemgo

Titel: Der Henker von Lemgo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Szrama
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Reiter
im Galopp auf sie zujagte: »Ich glaube, es ist ratsam, Maria einsteigen zu
lassen. Der Richter schreckt in seiner Enttäuschung auch nicht vor gedungenen
Mördern zurück.«
    Sanft zog er sie
wieder in seine Arme, während David seine Befürchtungen bestätigte. Vorsichtig
nahm Hermann Marias Gesicht in seine Hände. Sie hatte den Schädel unter dem Hut
mit einem roten Tuch verbunden, was ihrem Gesicht einen verwegenen Ausdruck
verlieh. Ihre Wangen waren noch immer blass, doch langsam kehrte die Farbe in
sie zurück und mit ihr der Zauber ihrer Schönheit. Aus Scham und Schmerz hielt
sie die Lider vor Hermann gesenkt. Als er sie ihr sanft küssen wollte, öffnete
sie die Augen und sah ihn an. Das Blau hatte nichts von seiner Kraft eingebüßt,
doch der Blick, mit dem sie ihn ansah, wirkte fremd. Er versperrte ihm den Weg
zu ihrer Seele. In ihm lag etwas Unausgesprochenes, etwas, das sie ihm
unbedingt mitteilen wollte. Noch im selben Moment las er es in ihren Augen,
bevor sie die spröden Lippen mühsam zu einem Geständnis öffnete. Der Schmerz
über ihre Untreue traf ihn wie ein Degenhieb mitten ins Herz, doch die Liebe in
ihm war stärker, und er legte ihr beschwörend den Finger auf die Lippen. Er
wollte nicht wissen, was zwischen ihr und David vorgefallen war. Vor ihnen lag
ein neues, schöneres Leben, ein Leben ohne Angst. Um ihr Mut zu machen,
flüsterte er leise: »Ich liebe dich, Maria. Du bist mein Eheweib und sollst es
bis an das Ende deiner Tage bleiben. Die Entscheidung jedoch, meine Liebe
anzunehmen, liegt allein bei dir.«
    Er beobachtete
David, der vom Pferd gestiegen und wie zu ihrem Schutz hinter sie getreten war.
Eine Weile musterten sich die Männer stumm, dann senkte Hermann zuerst den
Blick. Sanft löste er sich aus Marias Armen. Sein Schritt wirkte müde, als er
langsam, ohne sich umzublicken, zu Adam Roleman alias Kleinsorge in die Kutsche
stieg.
    David hatte die
dunklen Augen flehend auf Maria gerichtet, während sie gedankenverloren hinter
Hermann hersah. Seit Tagen brannte das Verlangen in seiner Seele, die Geliebte
ein letztes Mal in den Arm zu nehmen, ihre Lippen zu berühren und ihre Stimme
zu hören. Nach der Folter hatte sie kein Wort mehr mit ihm gewechselt, und er
hatte keine Gelegenheit gefunden, ihr zu beweisen, dass er sie trotz allem, was
vorgefallen war, noch immer liebte. Als der Kutscher langsam die Pferde wendete
und alle aufsaßen, stand Maria ganz allein vor ihm. Doch als sie endlich die
Augen auf ihn richtete, klebte die Zunge so fest an seinem Gaumen, dass er kein
Wort herausbrachte. Lediglich seine Augen sprachen eine beredte Sprache.
Verlegen nestelte er an den Lederknöpfen seines Umhanges, der seine Gestalt
fast gänzlich einhüllte. Er wusste nicht, wohin mit seinen Händen, während ihre
Augen wie früher ineinandertauchten.
    »Maria«, kam es
leise bittend über seine Lippen. Seine Stimme klang dunkel, fast ein wenig
heiser. »Ich weiß, dass du mir niemals vergeben kannst, aber du sollst wissen,
dass ich dich von ganzem Herzen geliebt habe und immer lieben werde.«
    In seinen Augen
glitzerten Tränen. Unschlüssig verharrte Maria auf der Stelle. Die geschundenen
Beine schmerzten, aber sie spürte nichts. So wie damals im Rathaus sah sie nur
seine dunklen Augen, in denen die Leidenschaft unverändert brannte. Zu gern
hätte sie ihn berührt, sich in seine starken Arme fallen lassen und ihm die
Lippen zu einem letzten Kuss dargeboten, doch die vergangenen Tage hatten ihre
Liebe zu ihm verändert. Die Glut seiner Augen schien sie plötzlich nicht mehr
zu verbrennen. Stattdessen hörte sie ihre eigenen gequälten Schreie, sah das
gemarterte Gesicht der Maria Blattgerste vor sich, und ihre Leidenschaft
verebbte in Qual und Blut. Sein Gesicht war dem ihren so nah. Sie brauchte es
nur anzufassen, nur ein Wort zu sagen, und er würde ihr den Himmel zu Füßen
legen, doch ihr Mund blieb verschlossen. Stumm hob sie die Hand und strich ihm
mit zitternden Fingern eine graue Strähne aus dem Gesicht. Wie von einer
unsichtbaren Kraft gelenkt, wanderten ihre Fingerspitzen zu den vollen Lippen,
die vor noch nicht allzu langer Zeit in heißer Liebe jede Stelle ihres Körpers
liebkost hatten. Einen Moment lang ließ sie den Zeigefinger auf seinem Mund
verharren, überlegte, wie alles wohl gekommen wäre, hätte das Schicksal es
anders gewollt. Ohne seinem Blick auszuweichen, fragte sie sich, ob sie ihn als
seine Ehefrau mit der gleichen Leidenschaft hätte lieben können,

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