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Der Henker von Lemgo

Der Henker von Lemgo

Titel: Der Henker von Lemgo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Szrama
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Frucht Eurer Lenden, die mit einer Hexe
gezeugt wurde, wird die Gerichte und den Grafen, unseren Herrn, davon
überzeugen, dass Ihr allein hier der Teufel in Menschengestalt seid.«
    Als Cothmann die
Überreste eines in Seide gewickelten Säuglings mit den Merkmalen einer übel
riechenden Verwesungsstarre vor sich auf der geheiligten Kanzel sah, griff er
hilfesuchend nach Kriegers Hand. Er wollte etwas sagen, wollte schreien, doch
ein Schleier legte sich über seine Augen. Bevor eine sanfte Ohnmacht ihn
einhüllte, hörte er den Advokaten noch aus weiter Ferne zum Abschied sagen:
»Ich habe niemals aufgegeben, Cothmann! Die erlittene Schmach meines Vaters
Balthasar Kleinsorge ist mein Racheschild. Seht in mir zeitlebens Euren
meistgefürchteten Gegner.«
    Es war, als
lächelte Gott auf die Erde herab. Der Himmel öffnete sich, als wollte er die
vier Menschen in seinen Armen aufnehmen und ins Paradies geleiten. Verflogen
waren Sturm, Hagel und Schnee, stattdessen lachte die Sonne und schickte ihre
wärmenden Strahlen über das Land, das sich vor ihnen in seiner ganzen neu
erwachten Schönheit ausbreitete. Sanft öffneten die ersten Knospen ihre Kelche
und säumten als Schneeglöckchen und Krokusse in bunter Farbenpracht das zarte
Frühlingsgrün der leicht im Wind wogenden Wiesen. Das Wasser der Weser rauschte
leise zu ihren Füßen, und aus den Wäldern der noch nebelverhangenen grünen
Hügelkette erklangen die werbenden Rufe des Kuckuckmännchens.
    »Hier ist mein Weg
zu Ende. Ich werde Euch nicht länger begleiten«, sagte David, während er den
Schlagbaum öffnete. Er deutete mit der Hand über die Wiesen. »Dort drüben, am
anderen Ufer, liegt Rinteln. Dorthin ist es nur noch ein halber Tagesmarsch.
Erreicht Ihr die Stadt, seid Ihr frei.«
    Der Henker hatte
noch nicht zu Ende gesprochen, als plötzlich das lauter werdende Geräusch
schwerer Kutschenräder erklang. Die Köpfe der drei Männer fuhren erstaunt
herum. Unterhalb des Weges jagte eine schwarze Kutsche, gezogen von vier
schwarzen Rappen, auf sie zu.
    »Es ist Kleinsorge«,
bemerkte Anton erleichtert. Er hielt sich die Hand vor die Augen und begann
freudig zu winken. Obwohl das Gefährt noch einige Werst von ihnen entfernt war,
konnte er Cordt im Fenster erkennen. Der Deche hing mit dem Oberkörper aus der
Kutsche und schwenkte heftig seinen Hut.
    »Der Advokat wird
Maria zu guten Leuten nach Rinteln bringen, bei denen unsere Kinder schon auf
sie warten«, sagte Hermann. Sanft hob er Maria aus dem Schinderkarren und
stellte sie vorsichtig auf die geschundenen Füße. Sie bewegte sich wie eine
hölzerne Puppe. Er bemerkte ihre Erleichterung, da sie endlich die frische Erde
unter ihren Füßen spürte. Als sich ihre Augen trafen, lächelte sie tapfer, doch
dann knickte sie in den Gelenken ein, und er musste sie erneut stützen.
Sekundenlang verharrte sie wie in einer Starre und verbiss sich den Schmerz.
Dann hob sie den Kopf und sog die frische Landluft tief in ihre Lungen. Sicher
von seinen Armen gehalten, ließ sie sich langsam auf die Wiese hinabgleiten.
Vor Ergriffenheit breitete sie weit die Arme aus, als wolle sie die duftende
Welt umarmen, und drückte ihr Gesicht in das feuchte Gras. Wieder verharrte sie
eine Weile in dieser Stellung, und niemand wagte, sie in ihrer Andacht zu
stören. Erst als die Kutsche knarrend neben ihr hielt, schreckte sie aus ihren
Gedanken auf.
    »Mein Kind!«, rief
Cordt und konnte nicht abwarten, bis der Kutscher die schäumenden Pferde
gezügelt hatte. Vor Freude sprang er noch während der Fahrt vom Trittbrett.
»Mein geliebtes Kind!« Närrisch vor Glück, seine Tochter endlich in Freiheit zu
sehen, fiel er neben ihr ins Gras und drückte sie so ungestüm an seine breite
Brust, dass sie das Gesicht vor Schmerz verzog. Hinter ihm erschien Margaretha
mit Marias Kleidern in den Händen.
    Weinend lagen sich
die Schwestern einen Moment in den Armen, dann zog sich Maria im Schutz von Margarethas
weiten Röcken das Büßerhemd über den kahlen Kopf, warf es auf den Karren und
streifte sich rasch ihre Kleider über. Taktvoll warteten Hermann und Anton im
Schatten eines Weidenbaumes, bis Maria in einem dunklen Reisekleid aus Samt und
Taft, den kahlen Schädel unter einem Dreispitz mit wallendem Federbusch
versteckt, ihre menschliche Würde wiederhergestellt hatte.
    Einen Augenblick
später mahnte Hermann mit einem besorgten Blick in Richtung David, der vom
Pferd aus kritisch das Stadttor in Augenschein nahm, durch das ein Trupp

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