Der Henker von Lemgo
dem Rücken
zu ihm tanzte, flüsterte er ihr sanft ins Ohr: »Ihr seid nicht nur eine schöne
Haremsdame, ihr seid gleichfalls die Königin auf meinem Fest. Selbst in den
Lumpen einer Bettlerin würde ich Euch wiedererkennen, Jungfer Maria.«
»Ich glaube, Ihr
irrt, mein Herr«, antwortete sie scheu. Seine Nähe engte sie ein, und sie war
froh, als der Tanzmeister den nächsten Wechsel ankündigte.
Die Worte Cothmanns
zwangen sie, einen klaren Kopf zu behalten. Sie musste den Ball schnell und
möglichst unauffällig verlassen, doch zuvor galt es, die vermaledeiten Zettel
loszuwerden. Aber wie? Verzweifelt hielt sie Ausschau nach ihrem nächsten
Tanzpartner. Plötzlich leuchteten ihre Augen, und ihr Herz begann wild zu
schlagen. Sie versuchte, die Erregung hinunterzuschlucken, denn vor ihr stand
der Wikinger.
Nie hätte sie
Meister David so viel Eleganz zugetraut. Trotz seiner stattlichen Figur war er
ein leichtfüßiger Tänzer. Heimlich bewunderte sie seine muskulösen Schenkel,
die sich im Sprung elegant bogen, und seine bloße Brust, die sich in kräftigen
Atemzügen hob und senkte. Insgeheim fürchtete sie, ihr wilder Herzschlag könnte
ihre Gefühle verraten. Ihre Beine zitterten derart, dass ihre Füße aus dem Takt
kamen. David musste ihr helfen und verschlang kunstvoll ihre Finger ineinander.
Nachdem Maria in den
Takt zurückgefunden hatte, blickte er lächelnd auf sie hinab: »Es würde mich
brennend interessieren, welch schönes Gesicht sich unter dem Schleier verbirgt.
Mich düngt das Gefühl, diesen herrlichen Körper schon einmal in meinen Armen
gehalten zu haben. Würdet Ihr meinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen, schöne
Frau?« In steifer, aufrechter Haltung schritt er neben ihr her.
In diesem Moment
dröhnte die Stimme des Tanzmeisters: »Auf besonderen Wunsch unseres Musagets: countredance !«
»Wie bedauerlich!«
Meister David verbeugte sich höflich vor ihr, als der Kavalier wieder
auftauchte.
»Meine Dame, diesen
Tanz hattet Ihr mir versprochen.« David bedachte er nur eines kurzen Blickes.
»Geht nach Hause zu Eurer Frau und Euren Kindern, Henker. Sucht in den
Wirtsstuben nach Geselligkeit nach Eurem Geschmack, aber nicht hier in meinem
Haus«, zischte er leise und hätte den unliebsamen Gegner gern vor allen Gästen
hinauswerfen lassen. Offiziell war der Scharfrichter nicht eingeladen, doch
Kerckmann konnte ohne seinen Nachrichter nicht sein, und so hatte Cothmann
zähneknirschend den Wunsch des Alten erfüllen müssen. Insgeheim schwor er sich,
nach seinem Amtsantritt als Bürgermeister einige Dinge zu ändern.
Davids Züge
verfinsterten sich. Er verachtete den aufgeblasenen Günstling zutiefst, doch
die Ehre und der Respekt, den er als meistgefürchteter Mann Lemgos für sich in
Anspruch nahm, forderten Revanche für die Beleidigung. Der reichliche
Biergenuss machte es ihm einfach. Mit einem höhnischen Grinsen trat er einen
Schritt auf Cothmann zu, sodass ihm dieser in die Augen sehen musste, und
knurrte warnend: »Es ist Euer Haus, Landmann, und ich weiß, dass ich Euch nicht
willkommen bin. Aber nun bin ich einmal hier, und Ihr müsst notgedrungen mit
mir vorliebnehmen.«
Er kannte Cothmann
und ahnte, wie er auf die Worte reagieren würde, deshalb ließ er ihn einfach
stehen. Die Muskeln gespannt und jederzeit bereit, sofort den Degen zu ziehen,
steuerte David langsam auf den Richter zu. Er hatte seinen Herrn nach ihm rufen
hören – als plötzlich die Musik aussetzte. Maria entfuhr ein leiser Schrei, und
in Erwartung eines spannenden Duells bildete sich augenblicklich ein Kreis
Neugieriger um die beiden Kontrahenten.
Cothmann hatte noch
eine Rechnung mit dem Henker offen und die Beleidigung im Rathaus nicht
vergessen. »Muskelkraft macht Intelligenz noch lange nicht wett, Meister
David!«, rief er hinter ihm her. »Wie mir zu Ohren kam, steht Euer Angebot
noch, Euch mit mir zu schlagen, Henker. Aber ich hörte auch, dass Ihr Euch wie
ein Bauer nur mit Euresgleichen prügelt.« Er drehte sich tänzerisch elegant im
Kreis und ließ sich bejubeln. Dann nahm er einem der Gäste den Bierkrug aus der
Hand und prostete siegesgewiss in die Runde. »Ein Hoch auf den Henker, liebe
Leute, den meistgefürchteten Mann Lemgos, der den Reuter besser halten kann,
als er mit dem Degen umzugehen versteht! Aber gern stehe ich ihm auch bei einem
Krug Bier zur Maulschellenrevanche zur Verfügung!«
Die Umstehenden
jubelten vor Entzücken, nur Maria wäre am liebsten im Erdboden versunken
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