Der Henker von Paris
Handelswege verkürzen. Und wenn wir dadurch den Holländern und Engländern ein Schnippchen schlagen können, hat sich das Ganze schon gelohnt.«
»Und Gott?«
Gerbillon vollführte ein paar kokette Bewegungen. »Das ist schon schwieriger. Gott hat es schwer gegen Buddha. Esist zwar ein und dasselbe, aber ihr Buddha ist einfach freundlicher. Ich denke, wenn wir Siam erobern wollen, müssen wir ihnen ihre Religion lassen. So haben es die Römer getan und waren damit erfolgreich. Und Buddha ist nicht so prüde wie unser Gott.« Gerbillon lachte. »Sie kennen keine Scheu. Wenn sie lieben, empfinden sie keine Scham.«
»Wie wollen Sie das so genau wissen?«
»Man hat es mir so zugetragen.« Gerbillons Unschuldsmiene sprach Bände. Wie viele Menschen, die lange in den Kolonien lebten, hatte er die Sitten und Bräuche seines Heimatlandes weitgehend aufgegeben und die fremde Kultur angenommen.
Arbeiter trugen Käfige aus dem Bauch des Schiffes. Die gefangenen Tiere glichen riesigen Katzen. Ihr Fell war gelb und schwarz gestreift. Als ein Tier zu fauchen begann, sah man in eine furchterregende Schnauze mit riesigen Zähnen, die jedes andere Tier zerreissen konnten.
»Das sind Tiger«, sagte Gerbillon, »angeblich kann man die zähmen, aber ich hab’s nicht versucht. Ich hoffe, sie werden unserem König gefallen. Er wollte etwas Ausgefallenes für seinen Zoo.«
»Verstehen Sie unsere Sprache?«, fragte Charles eines der Mädchen. Sie war die Kleinste von allen, und trotzdem schien sie die anderen anzuführen. Sie hatte ein wunderschönes Gesicht mit feinen Wangenknochen und einem vollen Mund. Ihre Augen waren schwarz wie die Nacht, ihr Blick schien Charles zu durchdringen. Sie strahlte Wärme aus, Zuneigung, aber es war nicht zu übersehen, dass sie zäh war und über viel Energie verfügte. Das Mädchen zeigte auf ihre Brust und sagte: »Lan Na Thai.«
»Das ist unsere kleine Dan-Mali«, sagte Gerbillon nicht ohne Stolz, »sie ist die Gescheiteste von allen. Sie hat ein Gedächtnis wie eine Bibliothek und vergisst nichts. Sie wird unsere Sprache rasch erlernen.«
»Was heisst Lan Na Thai? «, fragte Charles.
»Königreich der Millionen Reisfelder. So nennen sie Siam in ihrer Sprache.«
Charles lächelte und nickte Dan-Mali aufgeregt zu. Er hatte verstanden. Er konnte sich kaum an ihr sattsehen. Ihr leicht vorstehendes Kinn faszinierte ihn. Es hatte etwas Animalisches, Gefährliches, Erotisches.
»Haben Sie uns Zimt mitgebracht?«, fragte Collin und fixierte Charles eindringlich, damit dieser endlich aufhöre, die Siamesin anzustarren.
»Nicht nur.« Gerbillon lächelte vieldeutig. »Ich habe zum ersten Mal Kurkuma mitgebracht. Es ist die Pflanze der Mönche. Sie zermalmen die gelbe Wurzel zu Pulver. Es besiegt die schwarzen Geschwüre, die wie Blumenkohl in den Brüsten der Frauen wuchern. Und es soll auch gegen andere Formen von faulenden Geschwüren helfen. Es wächst wild im Gebirge. Aber nur jene Arten sind wirksam, die in der Nähe von Teakbäumen wachsen. Probiert es aus, und gebt mir im nächsten Frühjahr Bescheid.«
Die Jugendlichen holten Kisten und Körbe und blieben hinter Pater Gerbillon stehen. Er nahm ein Stück Rinde aus einem Korb. »Das ist die Rinde des Lorbeerbaums.« Er wandte sich an Charles. »Sie ist trocken. Du kannst sie zerstampfen, bis sie zu Pulver wird.«
»Es fördert tatsächlich die Verdauung«, sagte Pater Collin, »ich hab’s an mir selber ausprobiert. Man kann sie auchin einer Sauce einkochen. Das gibt dem Essen einen ganz besonderen Geschmack.«
»In Siam umwickeln wir das Fleisch damit, bevor wir es übers Feuer legen. Der Hof ist ganz verrückt danach. Deshalb hat sich der Preis bereits verdreifacht.« Gerbillon lachte.
Charles nickte und drehte verstohlen den Kopf. Er musste noch mal Dan-Mali ansehen. Sie faszinierte ihn wie noch keine junge Frau zuvor, und er erwiderte ihr schüchternes Lächeln. Obwohl sie einer ihm völlig fremden Kultur entstammte, fühlte er sich von ihr magisch angezogen. Er glaubte zu spüren, dass auch sie eine Entwurzelte war, die einsam inmitten von Menschen war und Frieden und Geborgenheit suchte.
Pater Gerbillon wandte sich erneut an Charles, den er ins Herz geschlossen zu haben schien. »Wenn du mit deinem Studium fertig bist, musst du uns unbedingt in Paris besuchen«, sagte er, »ich werde dir alle Kräuter aus dem Königreich Siam zeigen.«
»Aber nicht übertreiben«, scherzte Collin, »sonst will er am Ende nicht mehr Arzt
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