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Der Henker von Paris

Der Henker von Paris

Titel: Der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Cueni
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nie verzeihen, dass du der bessere Schüler von uns beiden warst.« Er lachte. »Eigentlich wollte ich dich zu meinem Hausarzt machen, aber ich könnte es nicht ertragen, jeden Tag den Mann zu sehen, der mir hier in Rouen meine Mittelmässigkeit vorgeführt hat.« Dann legte er freundschaftlich den Arm auf Charles’ Schulter. »Du bist mein bester Freund, Charles. Ohne dich würde ich es hier nicht aushalten. Ich bin manchmal etwas böse, aber ich mag dich.« Erneut lachte er los und schaute zwei jungen Frauen nach, die gerade an ihnen vorbeigegangen waren.
    »Oh, die Schwarzhaarige macht mich richtig scharf. Was denkst du, Charles, wen würden die beiden Damen bevorzugen? Den reichen Antoine oder den selbstlosen Samariter Charles?«
    »Du kriegst Besuch«, sagte Charles leise.
    Antoine erkannte gleich den Ernst in Charles’ Stimme und schaute nach vorn. Sie waren in eine schmale Gasseeingebogen. Am Ende des Weges standen drei junge Männer in ihrem Alter.
    »Kennst du die?«, fragte Charles und verlangsamte nun seinen Schritt.
    »Nur flüchtig.« Antoine konnte seine Nervosität nicht verbergen. »Ich kenne nur den Kerl in der Mitte. Ich habe seine Schwester als Nutte bezeichnet und ihn als Abschaum der Evolution. Glaubst du, das war ein Fehler?«
    »Warum musst du ständig andere Leute beleidigen?«
    »Du hilfst mir, Charles, nicht wahr? Du weisst, Gott gab mir zwei linke Hände.«
    Nun standen die drei jungen Männer vor dem Karren und versperrten ihnen den Weg. »Wir wollen eine Entschuldigung«, sagte der eine.
    »Geht uns aus dem Weg«, sagte Antoine, »oder mein Freund verliert die Geduld.« Er hatte Angst, grosse Angst und schaute hilfesuchend zu Charles.
    »Wir werden dich jetzt so verprügeln, dass dich dein Freund auf seinen Schubkarren laden wird.« Die drei stürmten auf Antoine zu. Zwei packten ihn, der Dritte schlug ihn sofort zu Boden. Nun setzte Charles den Schubkarren ab und eilte Antoine zu Hilfe. Er warf den Ersten zu Boden, schlug dem Zweiten die Faust ins Gesicht und packte den Dritten mit solcher Wucht am Nacken, dass dieser wimmernd in die Knie sank. Als die anderen beiden davonrannten, liess Charles sein Opfer los. Antoine kniete noch am Boden und starrte auf das Blut an seiner Hand.
    »Es ist nur die Nase«, sagte Charles.
    »Nur die Nase!«, schrie Antoine. »Wieso hast du so lange gewartet? Die haben mir die Nase gebrochen.«
    »Nein«, sagte Charles ruhig, »deine Nase ist nicht gebrochen. Sie blutet nur ein bisschen.«
    »Ein bisschen! Du machst dich wohl lustig über mich? Vielleicht verblute ich hier!« Antoine erhob sich und trottete, ohne auf Charles zu warten, die Gasse hinunter. Von da an war Antoine ein anderer. Er schämte sich, dass Charles Zeuge seiner Angst und Hilflosigkeit geworden war. Dafür begann er ihn zu hassen.
    Die Leichen wurden im Saal über der Turnhalle seziert. Während sich einige Schüler während der Vorführung entsetzt abwandten, sah Charles nichts Unnatürliches in diesen leblosen Körpern. Er hatte nur Augen für die Struktur der bläulich aufgedunsenen Körper. Er inspizierte sie wie fremdartige Maschinen, bewegte die Glieder, als seien es bloss Türscharniere. Für Antoine gab es jedoch nur den Penis oder die Brüste der Leichen. Er mokierte sich über diese Körperteile und versuchte seine Mitschüler zu unterhalten. Wenn Charles ihn ignorierte, sagte er mit grossem Bedauern in der Stimme, dass Charles eben studieren müsse, da sein Vater Schauspieler sei und noch zehn Jahre Bastille vor sich habe.
    Charles konzentrierte sich auf sein Studium. Mit jedem Monat wuchs in ihm die Gewissheit, dass es möglich sein musste, einen Körper zu begreifen. Und wenn man ihn begriff, wenn man ihn »lesen« konnte, konnte man ihn auch heilen. Dieser Gedanke beherrschte ihn Tag und Nacht. Aber es gab da noch einen anderen Gedanken. Er wollte die junge Siamesin Dan-Mali wiedersehen. Er wusste, dass sie erst sechzehn war. Aber sie würde älter werden. Und in einigen Jahren würde er sein Medizinstudium abgeschlossenhaben und nach Paris zurückkehren. Sie war ständig in seinen Gedanken. Sie hatte sich förmlich in seiner imaginären Welt eingenistet. Er kannte die geheimnisvolle Siamesin nicht, er hatte noch nie mit ihr ein richtiges Gespräch geführt, aber ein einziger Blick hatte genügt, ihm mitzuteilen, dass sie auf ihn warten würde.
    Eines Morgens erhielten sie den Körper eines Landstreichers, der vor der Schule tot zusammengebrochen war. Die Patres

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