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Der Henker von Paris

Der Henker von Paris

Titel: Der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Cueni
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eine warme Suppe hast du auf sicher!«
    Charles blieb stehen und stellte sich drohend vor Antoine auf. »Du hast jetzt niemanden mehr, der dich beschützt.«
    Antoine lachte. »Wer soll mir schon etwas antun?«
    »Ich«, sagte Charles, »ich zum Beispiel!« Er verpasste ihm eine schallende Ohrfeige.
    Antoine hielt sich verdutzt die stark gerötete Wange und wich einen Schritt zurück. »Das wird dir noch leidtun.« Er beeilte sich, ins Schulgebäude zurückzukehren.
    Schweigend traten die Sansons die lange Heimfahrt nach Paris an. Charles war wütend, dass ihm das Erbe seiner Familie zum Verhängnis geworden war, umso mehr, als er damit nichts zu tun haben wollte. Jean-Baptiste sass geknickt in der Kutsche und starrte aus dem Fenster. Der erste Schnee hatte sich über die Felder gelegt. Eisige Luft blies durch die Ritzen der Kutsche ins Innere. Der Fussboden war eiskalt. Jean-Baptiste bedauerte zutiefst, was geschehen war, und es kränkte ihn, dass man ihn derart ächtete. Ihn und seine ganze Familie.
    Später sagte dann Grossmutter Dubut, sie sei sehr stolz darauf, die Mutter des Henkers von Paris zu sein. »Du bist nicht irgendein Henker«, ereiferte sie sich, »du bist Monsieur de Paris.« Jean-Baptiste schwieg. Dann wandte sie sich an Charles: »Du solltest stolz auf deinen Vater sein, auf deinenGrossvater, auf alle Sansons, die dieses Amt je ausgeübt haben. Dieses Erbe ist keine Bürde. Oder sind zehntausend Livre etwa eine Bürde?«
    Jean-Baptiste und Charles schwiegen. Sie dachten beide dasselbe: Wieso kann sie nicht endlich die Klappe halten?
    »Zehntausend Livre im Jahr, das ist der Monatsverdienst von dreihundert Arbeitern«, fuhr sie fort. »Die anderen Henker Frankreichs verdienen zweitausendvierhundert bis sechstausend Livre im Jahr, je nach Grösse der Stadt.«
    Charles wünschte sich sehnlichst, sie würde endlich tot umfallen und schweigen. Selbst ihre Stimme ertrug er kaum noch.
    »Überleg dir gut, ob du noch Arzt werden willst, Charles. Die Gesellschaft wird dich nie mögen. Du wirst immer der Sohn des Henkers sein, bis du eines Tages selbst ein grosser Henker wirst. Monsieur de Paris.«
    »Ich will Arzt werden«, sagte Charles trotzig, »ich will heilen, nicht töten.«
    Grossmutter Dubut machte eine unwirsche Handbewegung. »Wo kriegt man denn heute fünfundzwanzig Livre für das Abhacken einer Hand? Ganz Paris würde sich um eine solche Anstellung bemühen.«
    »Vater«, sagte Charles und wandte sich bittend an Jean-Baptiste, der noch immer auf den Boden starrte, »schickst du mich auf eine andere Schule?«
    Jean-Baptiste wandte sich seinem Sohn zu und nickte. »Wir werden eine Lösung finden, Charles. Und nächstes Mal gibst du dich besser als Waise aus.«
    »Er soll seine Herkunft verleugnen?«, fauchte Grossmutter Dubut.

4
    Zu Hause fühlte sich Charles nicht mehr willkommen. Grossmutter Dubut führte das Zepter und kommandierte die Küchenmagd und die Kinderschar wie eine kleine Armee. Sie stand so eng an der Seite ihres Sohnes, dass jeder Besucherin sofort bewusst wurde, dass es an der Seite von Witwer Sanson keinen Platz für eine neue Ehefrau gab. Jean-Baptiste hatte das Interesse an körperlicher Nähe verloren. Er hatte auch die Sehnsucht nach dem Duft einer Frau verloren. Kinder hatte er genug. Er schätzte einen stabilen familiären Rahmen. Und gutes Essen. Seine Mutter war eine ausgezeichnete Köchin. Die Küchenmagd hatte von ihr gelernt, auch wenn es Grossmutter Dubut nie genügte. Niemand genügte ihr. Jean-Baptiste liess sie gewähren. Wenn er keine Urteile vollstreckte, verkroch er sich in seiner Bibliothek und las. Seine Mutter hielt dies für unnütz, weil Bücher eh nur staubig würden. Aber auch sie liess ihn gewähren. Sie umsorgte ihn wie ein Kind.
    Kaum war Charles wieder an der Rue d’Enfer, suchte er das Jesuitenkloster auf. Ein freundlicher Pater öffnete ihm die Tür und liess ihn dann kurz warten. Er werde nach Pater Gerbillon Ausschau halten, er sei wahrscheinlich noch beim Gebet in der Kapelle. Nach einer Weile kam er zurück und bat Charles, ihm zu folgen. Er führte ihn in den Klostergarten, der wie ein römisches Atrium angelegt war. In der Mitte des quadratischen, von Arkaden gesäumten Gartens war ein Brunnen. Um ihn herum waren Kräuterbeeteangelegt. Ein Pater kniete vor einem der Beete. Als er die Schritte auf dem Kiesboden hörte, erhob er sich und klopfte die Hände an seiner Schürze ab.
    »Welch eine Freude!« Gerbillon strahlte und näherte sich

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