Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Henker von Paris

Der Henker von Paris

Titel: Der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Cueni
Vom Netzwerk:
Charles mit weit geöffneten Armen. »Schau, mein Freund, das hier ist die Schlafbeere. Schon die alten Ägypter nutzten sie zur Beruhigung. Sie macht einen gelassen und entspannt, selbst wenn man weiss, dass einem gleich der Kopf abgeschlagen wird.«
    Charles zuckte zusammen. Er fragte sich, ob der Pater bereits wusste, dass er der Sohn des Henkers ist und von der Klosterschule in Rouen gewiesen worden war.
    »Aber die Beere wächst hier nicht so gut. Wir haben mehr Erfolg mit Salbei gegen Halsentzündungen, Fenchel gegen Husten, Tollkirschen gegen Bauchschmerzen, Wegerich gegen Kopfschmerzen. Obwohl bei Kopfschmerzen die Empfehlung, weniger zu saufen, hilfreicher ist.« Pater Gerbillon zeigte stolz auf die einzelnen Beete.
    Dann führte er Charles in seine Pharmacie. Auf einem grossen Holztisch lagen Ginsengwurzeln. »Ginseng«, sagte er, »ist das Allheilmittel in Siam. Die einen nehmen es zur Entspannung, die anderen zur besseren Durchblutung.« Er kicherte wie ein kleines Mädchen. »Es soll auch die Kraft des Mannes stärken. Wir haben noch viel Arbeit vor uns. Seit der Erfindung des Buchdrucks erscheinen jährlich immer mehr medizinische Bücher über Wirkung und Nutzen der verschiedenen Pflanzen. Ein Leben reicht nicht aus, um all diese Bücher zu lesen, geschweige denn, um dieses Wissen zu ordnen und zu nutzen. Mit dem Buchdruck ist ein Damm gebrochen. Jedermann in Europa kann dieForschungsergebnisse anderer nachlesen, überprüfen, verbessern und erneut publizieren.«
    In der Pharmacie waren zahlreiche Porzellanschalen und Gefässe angeordnet, Mörser, Zeichnungen und Tabellen mit Forschungsergebnissen.
    »Aber erzähl mir, was führt dich nach Paris?«
    »Ich suche eine neue Schule, und ich dachte, vielleicht könnten Sie mir etwas empfehlen.«
    »Eine neue Schule?«
    »Mein Vater ist Monsieur de Paris«, sagte Charles entschlossen. »Der Vater eines Mitschülers hat ihn am Besuchstag erkannt. Deshalb musste ich die Schule verlassen.«
    Gerbillon schien nicht erstaunt. »Man kann sich seine Eltern nicht aussuchen. Aber jedes Unglück öffnet die Tür für eine neue Chance. Vergiss das nicht. Schreib dich bei der Universität Leiden ein. Dort findet die Revolution der Medizin statt. Keine andere Universität in Europa kann derjenigen von Leiden das Wasser reichen. Sie ist sogar viel besser als die Klosterschule in Rouen.«
    Er bat Charles in sein prächtiges Arbeitszimmer und liess ihm einen schwarzen Kaffee mit viel Zimt und Zucker servieren. Die Wirkung des Raums und des Kaffees war unerwartet. Charles fühlte sich plötzlich hellwach und voller Tatendrang. Der Pater schmunzelte und sagte: »Besuch mich wieder, wenn es in Leiden geklappt hat. Ich gebe dir dann eine andere Tinktur zum Probieren.«
    »Wo sind all die jungen Frauen aus Siam?«
    Pater Gerbillon nahm Charles’ Interesse mit Erheiterung zur Kenntnis. »Sie besuchen tagsüber das Collège Louis-le-Grand. So will es unsere Abmachung mit dem König vonSiam. Sie lernen Französisch und befassen sich mit naturwissenschaftlichen Fächern, und am Abend versuchen wir, ihnen Gottes Botschaft nahezubringen. Aber es ist schwer, sie davon zu überzeugen. Sie halten unseren Gott für einen Soldatengott. Sie fürchten ihn eher, dabei ist er doch ein Gott der Liebe, nicht wahr? Sie mögen halt ihren Buddha. Buddha und Jesus: das ist doch dasselbe, beide sind sie Söhne der Sonne, Götter des Lichts, der gleiche Wein in verschiedenen Schläuchen.«
    Charles wartete auf der Klostermauer gegenüber dem Collège Louis-le-Grand. Er überlegte sich, wie er es anstellen wollte, aber er war zu aufgeregt, um seine Gedanken zu ordnen und eine Strategie zu entwickeln. Als er die Schulglocke hörte, sprang er von der Mauer hinunter und lief wie ein gefangenes Tier auf und ab. Jugendliche eilten aus dem Schulhof und verstreuten sich in alle Himmelsrichtungen. Zuletzt kamen die Schülerinnen und Schüler aus Siam. Sie liefen alle zusammen, lachten, und es war kaum möglich, jemanden in diesem fröhlichen Rudel zu identifizieren. Für einen Europäer sahen alle Asiaten gleich aus. Die Gruppe trat auf die Strasse. Dann sah Charles, dass jemand zurückgeblieben war. Sie stand etwas verlassen im offenen Tor. Dan-Mali. Sie hatte Charles bereits gesehen. Freudig sprang sie auf ihn zu und stoppte plötzlich abrupt vor ihm, als schämte sie sich, ihre Gefühle gezeigt zu haben.
    »Ich wollte Ihnen sagen, dass ich an die Universität Leiden gehe. Ich will Arzt werden. Aber ich

Weitere Kostenlose Bücher