Der Henker von Paris
sein. Ich weiss, dass Sie Kinder lieben und Nachkommen wollen. Dafür brauchen Sie eine Frau.«
Charles wollte darüber nachdenken.
Einige Tage später erhielt er eine Einladung des Journalisten Gorsas für ein Treffen im Etablissement in der Rue des Deux-Portes. Die Frau in Blau, Marie-Jeanne, holte ihn im Entree ab und begleitete ihn in den grossen Saal mit der gläsernen Kuppel.
»Haben Sie Ihren Prinzen gefunden?«, fragte Charles neugierig. Marie-Jeanne hakte sich bei ihm unter undstrahlte verträumt. »Ja, es ist der Graf du Barry. Er hat Grosses vor mit mir. Er will mich als Mätresse an den König vermitteln. Er hofft, dadurch seinen Stand in Versailles zu verbessern. Der König ist alt, aber wenn ich es tue, habe ich für den Rest meines Lebens ausgesorgt und brauche keinen Ehemann mehr. Wieso soll ich also dafür dem Alten nicht jeden Morgen einen blasen? Das ist mir lieber als all die jungen Rammler, die mich mehrmals am Tag besteigen wollen. Und Ihr Amt, Monsieur, habe ich mir sagen lassen, ist ja auch nicht gerade ein Honigschlecken.«
Charles musste lachen. Irgendwie beeindruckte ihn dieser praktische Verstand. Doch er warnte sie: »Ohne Adelstitel bleiben die Tore von Versailles geschlossen, Mademoiselle.«
»Der Graf will mich mit seinem Bruder verheiraten, dann bin ich Gräfin du Barry.«
»Oh, das klingt gut, Gräfin du Barry.«
»Was sind Ihre Wünsche, Monsieur? Es ist meine letzte Nacht hier.«
»Ich bin mit dem Journalisten Gorsas verabredet«, flüsterte Charles, »ist er da?«
»Er steht hinter Ihnen. Madame Bécu, er gehört jetzt mir.« Gorsas lachte, und Marie-Jeanne entfernte sich mit einem adretten Knicks. »Kommen Sie mit«, sagte Gorsas leise und führte Charles zu einer hölzernen Tür mit steinernem Torbogen. Charles war skeptisch. »Vertrauen Sie mir.« Gorsas kicherte.
Gemeinsam stiegen sie eine Wendeltreppe hinunter. Von unten drangen Gestöhn und Lustschreie nach oben.
»Er hat es gerne, wenn jemand zuschaut«, flüsterte Gorsas und zwinkerte. Vorsichtig zog er den schweren schwarzenVorhang beiseite. Vor ihnen lag ein Gewölbe, schmucklos wie ein Verlies oder wohl eher wie eine Folterkammer. Es erinnerte Charles an Damiens. An der Wand war ein grosses Kreuz befestigt. Daran war ein junger Mann gebunden. Nackt. Er war ungefähr in Charles’ Alter, schlank und auffallend hübsch, hatte dunkelblondes Haar und einen ansteckenden Schalk in den leuchtend blauen Augen. Das Gesicht war spitz und bleich, und der Mund drückte Ironie und Sarkasmus aus. Er schien ganz entspannt, hemmungslos und lachte genussvoll, wenn ihn die Peitsche der Peinigerin traf.
»Der am Kreuz, das ist Donatien Alphonse François de Sade, er schöpft neue Ideen für seine pornographischen Romane. Und der andere, das ist Sire de Fronsac, der uneheliche Sohn des Marquis.« Charles wollte wieder gehen, aber Gorsas hielt ihn zurück. »Wir sind hier eine grosse verschwiegene Familie, Sie können sich beteiligen. Niemand wird Sie jemals verraten.«
Zwei nackte Mädchen mit schwarzen Masken lösten de Sade vom Kreuz und zwangen ihn auf die Knie. Während die Mädchen an seinem Penis saugten, stiess Sire de Fronsac sein Glied in dessen After.
»Haben Sie mich dafür eingeladen?«, fragte Charles und drehte sich um. Er stieg die Wendeltreppe hoch und wollte zum Ausgang, als Gorsas ihn einholte: »Ich habe mit Ihnen etwas zu besprechen. Lassen Sie uns in einer ruhigen Ecke ein Glas Champagner trinken. Sie sind mein Gast.« Er winkte einem Mädchen zu und hob zwei Finger in die Höhe. Offenbar war er hier ein Habitué. Man kannte ihn. Sie setzten sich in zwei dicke Ledersessel.Zwischen ihnen war ein kleiner Tisch. Gorsas beugte sich konspirativ nach vorn. »Monsieur, unsere Gesellschaft braucht eine Kultur der Vernunft. Ihr vorausgehen muss die Entchristianisierung, denn ein vernünftiger Mensch braucht keinen Gott. Er vertraut dem, was er sieht. Anstelle von Gott käme die göttliche Sonne, der Ursprung aller Religionen, denn die Sonne ist das Licht, das Licht Gottes, das höchste Wesen. Was halten Sie von einem Kult des höchsten Wesens anstelle unserer Götterfiguren und Schutzheiligen? Wir huldigen fortan der Natur. Wir feiern die Natur. Aber dafür müssen wir den Klerus zerstören, sonst versucht er, das höchste Wesen für seine Zwecke zu domestizieren.«
»Ist das eine Verschwörung?«, fragte Charles misstrauisch. Ihm war sichtlich unwohl. Er wollte da nicht hineingezogen werden.
»Es gibt Menschen
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