Der Herodes-Killer
beinahe.
«In diesem Fall müssen wir einen Zahn zulegen», meinte die Arzthelferin. Sie griff nach dem Telefon. «In Anbetracht der Umstände …» Sie wählte. «… werde ich ein paar Beziehungen spielen lassen.» Sie sprach bei zwei Anrufen mit drei Gesprächspartnern, bevor sie ihr Ziel erreichte. Dann wandte sie sich Sarah und David Rosen zu.
«Okay, Sie haben heute Nachmittag einen Ultraschalltermin. Um fünfzehn Uhr im St Thomas’s Hospital.»
«Um fünfzehn Uhr, vielen Dank», sagte Sarah.
«Mrs. Rosen? Ich kenne Ihre medizinische Vorgeschichte. Ihre Patientenakte gibt Auskunft über die gynäkologischen Komplikationen, die Sie durchgemacht haben, den Tod Ihrer Tochter und Ihre Depression. Bitte gehen Sie an diese … unvorhergesehene Entwicklung vorsichtig heran.»
«Vorsichtig?» Sarah flüsterte es beinahe. Die Arzthelferin nickte.
Sarah wandte sich ihrem Mann zu, der so leise sprach, dass es fast nicht zu hören war. «Hoffnung kann etwas Schreckliches sein.»
Als sie die Praxis verließen, fühlte Rosen sein Handy in der Jacketttasche vibrieren. Er schloss die Tür hinter sich und drückte auf die grüne Taste. Es war Bellwood, und sie fuhr gerade mit Höchstgeschwindigkeit.
«David, Julia Catons Leiche ist aufgetaucht.»
«Derselbe Modus Operandi?»
«Der Herodes-Killer.»
«Wo?»
«Am Themseufer unmittelbar hinter der Albert Bridge Road.»
«Falls Sie vor mir dort ankommen, übernehmen Sie den Tatort, Carol.»
Als er auflegte, sagte Sarah: «Geh schon, David, fahr los.»
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29
Als David Rosen eintraf, hatte sich vor dem Absperrband an der Einmündung der Oakley Street in die Albert Bridge Road bereits eine kleine Menschenmenge gebildet. Das weiße Zelt, das von Parker und Willis über Julia Catons sterbliche Überreste errichtet worden war, diente eher dazu, zu retten, was von ihrer Würde noch übrig geblieben war, als forensische Beweise zu sichern. Angesichts des Themsewassers und der langen Zeit, die sie darin gele- gen hatte, war es unwahrscheinlich, dass noch viele Spuren zu finden sein würden.
Als Rosen beim Zelt eintraf, war Harrisons Gesicht das Erste, was er dort sah. Er trug einen weißen Schutzanzug und schlammbesudelte Überschuhe und hatte den Blick in eine mittlere Entfernung gerichtet.
Rosen holte hinten aus dem Transporter einen weißen Anzug heraus und begann ihn überzuziehen.
«Eine Joggerin hat sie gefunden», berichtete Harrison. «Zuerst hat sie geglaubt, es handle sich nur um eine im Schlamm steckende Plastikplane, aber als sie näher hinsah …»
«Es ist zweifelsfrei Julia?»
«Es ist eindeutig die Caton, Sir.»
«Sie hatte einen Vornamen.»
«Ich bemühe mich, Distanz zu wahren.»
«Haben Sie Ihre Digitalkamera dabei?»
Harrison nickte.
«Dann machen Sie Fotos von den Gaffern am Absperrband.»
In dem weißen Zelt lag Julia mit am Körper ausgestreckten Armen auf dem Rücken, die Augen geschlossen, als befände sie sich im Tiefschlaf.
Rosen stellte fest, dass er einfach nicht hinschauen konnte.
«Das Wasser hat alles weggespült, was vielleicht da gewesen ist.» Parker klang so, wie Rosen sich fühlte: von der Universumsmaschinerie schikaniert, von den Sternen gemobbt. Rosens Blick senkte sich auf den Schlamm, und er rief sich in Erinnerung, wer das wahre Opfer war. In sechzig Jahren hätte sie friedlich dahingehen sollen, mit Medikamenten schmerzfrei eingestellt und ihre Kinder und Enkel um sich geschart.
Parker leuchtete mit seiner Taschenlampe auf die Haut unter Julias Schlüsselbein und führte das Licht dann langsam zu einer Stelle zwischen den Rippen, wo sich ein fast nicht wahrnehmbarer roter Punkt abzeichnete.
«Die Todesursache ist dieselbe wie bei den anderen Frauen», sagte Parker.
«Herztamponade. Ich frage mich, wo er die Idee herhat.»
«Vielleicht ist der Mörder ein Kenianer», schlug Bellwood vor, die sich an ihrem ersten Leichenfundort befand.
Willis hielt im Fotografieren inne. «Daran hatte ich gar nicht gedacht, aber richtig!»
Willis wandte sich Bellwood zu, und Rosen hatte plötzlich das Gefühl, eine Fremdsprache zu sprechen.
«Was meinen Sie damit, Carol?», fragte Rosen.
«Das war in den 1990er Jahren bei den Bandenkriegen in Nairobi eine beliebte Mordmethode. Die Gangster nahmen eine Fahrradspeiche, spitzten sie an und durchbohrten damit das Herz ihres Gegenspielers der anderen Gang. Schauen Sie sich die Größe des Lochs an. Es ist winzig. Bei schwarzen Jugendlichen wurde es in der Regel
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