Der Herodes-Killer
hatte. Er hatte sie so vorsichtig wie möglich gefragt, ob irgendetwas nicht stimmte, aber sie hatte darauf beharrt, dass alles in Ordnung sei. Sie sei einfach nur ein bisschen müde. Er hatte ihr geraten, die Aufgabe als Lehrervertreterin abzugeben. Es war ein undankbarer und zeitintensiver Zusatzjob, und dabei war ihr Leben doch auch so schon voll genug.
Er öffnete die Augen weit und zwinkerte. Allmählich gewöhnte er sich an die Dunkelheit rund um die digitale Anzeige seines Nachttischweckers. Es war zwischen Mitternacht und ein Uhr, und er fragte sich, wie es Julia ging, ob sie noch lebte, ob sie lebte und in Panik war, oder ob sie schlicht und ergreifend tot war.
Sarah ließ sich Zeit im Bad.
Rosen wartete, wälzte sich auf ihre Seite, um sie für sie warm zu halten, und beobachtete, wie die Vorhänge im Luftzug einer verirrten Märzbrise zuckten. Originalfenster waren Sarahs Leidenschaft; er würde sich irgendwann einmal für Doppelglasscheiben starkmachen müssen. Während er wartete, wurde er zunehmend unruhig.
Sie war nervös und unkonzentriert, ging es mit ihr vielleicht psychisch bergab? War dies der erste Schritt hin zur Krankheit, ein Rückfall in die Depression, die sie schon einmal durchlitten hatte?
Er stand auf, ging zum Bad und klopfte.
«Alles in Ordnung mit dir, Liebling?»
Sie antwortete nicht.
«Kann ich reinkommen?»
Wieder blieb eine Antwort aus, und seine Unruhe steigerte sich schlagartig.
Er schob die Tür auf, langsam, um sie nicht zu erschrecken.
«Sarah, ist alles …»
Sie stand zwischen der Tür und der Toilette, mit einem weißen Gegenstand in der Hand, aus Kunststoff. Ihr Gesicht war von Tränen überströmt.
«Sarah, was ist denn?»
Statt einer Antwort streckte sie ihm die Hand hin, die Hand, in der sie den weißen Gegenstand hielt, und Rosen erkannte, was es war. Bestätigt wurde seine Feststellung durch die rechteckige Schachtel im Waschbecken, auf die die Worte «ClearView Digital Schwangerschaftstest» gedruckt waren.
«Sarah, was ist das?»
Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber alles, was herauskam, war ein heftiger Schluchzer, der ihm tief ins Herz schnitt. Hinter seinen Augen wallte es heiß auf, und das Gewicht ihres Kummers und ihrer Verzweiflung drückte ihn nieder.
«Sarah, wir müssen die Tatsachen hinnehmen, wir können kein Kind haben. Ich dachte, wir hätten akzeptiert, dass …»
«Schau doch!»
Er blickte hin, ohne recht zu verstehen, was er sich an dem Instrument in der Hand seiner Frau eigentlich ansehen sollte. Auf einem kleinen, grauen, rechteckigen Display am einen Ende stand: Schwanger. 10. bis 11. Woche.
«Sarah, Liebling, hör mir zu. Es hat den Anschein, dass der Test …»
«Da steht sogar, in welcher Schwangerschaftswoche ich bin!»
«Da … steht, dass du schwanger bist, aber lass uns auf dem Boden bleiben. Der Test könnte fehlerhaft sein, es könnte ein Irrtum sein …» Er hatte schon ein Du auf den Lippen, schluckte es aber herunter. «Wir können keine Kinder bekommen, Sarah. Wir sind nicht fruchtbar.»
«Ich sage dir, was ich nicht bin, David. Ich bin kein Magengeschwürpatient. Ich bin schwanger. Freust du dich denn nicht?»
Er schaute auf das Display und nahm dann die Schachtel in die Hand, weil er die Frage seiner Frau einfach nicht mit Ja beantworten konnte. Er überflog die Gebrauchsanweisung. Dort stand, dass der Test Auskunft geben würde, ob eine Schwangerschaft vorlag oder nicht, und dass er die Schwangerschaftswoche nennen würde. Außerdem wurde geraten, die Bestätigung eines Arztes einzuholen.
Er legte die Schachtel wieder ins Waschbecken zurück und blickte erst Sarah und dann das Display des Teststabs an.
«Du weißt, dass ich mir genauso ein Kind wünsche wie du, natürlich.»
Aber ich möchte nicht die Verzweiflung durchleiden, die ich schon hinter der Ecke lauern sehe.
Als er sah, dass sie lächelte, tat er das Einzige, was ihm richtig vorkam.
Er nahm sie in die Arme und sagte: «Ich liebe dich.»
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26
Der Vorteil, in einem Fahrzeug herumzufahren, das genau wie ein Rettungswagen aussah, bestand darin, dass alle einen bemerkten, aber keiner einen sah. Der Wagen ließ an Verzweiflung denken, und die anderen Menschen – Autofahrer, Passagiere und Fußgänger – schoben dieses Thema bewusst oder unbewusst an den Rand ihrer Wahrnehmung. Es war in Ordnung, ein wenig zu schnell zu fahren, und akzeptabel, ein bisschen zu langsam zu rollen, aber am vorteilhaftesten war eine
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