Der Herr Der Drachen: Roman
ihr Blut rufen zu hören. Das Wissen um seine Anwesenheit hing schwer in der Luft. Ihn beflügelte das; es schärfte seine Sinne, erinnerte ihn an das, was er einst gewesen war … was er noch immer war. Er verharrte, als er das Geräusch von Stiefelschritten hörte, die sich näherten. Leise glitt er in den Schatten einer leeren Box. Der moschusartige, ölige Geruch eines Jungtieres hing noch immer im Stroh, und Azoth sog ihn ein, während er die vorbeigehenden Männer beobachtete. Ihre Gesichter waren verwirrt, und er roch ihre Furcht, die unmittelbar unter ihrer äußerlichen Tapferkeit schwelte. So war es bei den Sklaven schon immer gewesen. Ihre Angst war ihre größte Schwäche, denn sie machte sie töricht.
Nun waren sie verzagt, weil sie nicht wussten, was sie beobachtete. Aber jemand wusste es doch. Er konnte sie spüren, die Seherin, die stümperhaft in der Zwischenwelt herumstocherte. Sie war so ungeschickt, und er wunderte sich, dass sie nicht schon längst in dieser Welt verloren gegangen war. Aber sie hatte auch nicht den Vorteil der jahrelangen Übung, den er gehabt hatte.
Das Lächeln auf seinem Gesicht versiegte, und Zorn flackerte in seinen Augen auf. Fortuse, Epherin, Vail und Paretim. Er wiederholte die Namen seiner Brüder und Schwestern, der Vier Verlorenen. Sie hatten ihm viele Jahre geraubt, seine Welt gestohlen. Aber was waren sie jetzt? Nichts. Vergessene Geistwesen, lebendig zwar, aber nicht wirklich am Leben. Hatten sie seine Flucht gespürt? Fortuse war immer so geschickt darin gewesen, das Zwielicht nach ihren Wünschen zu formen. Vielleicht war ihr ein letzter Rest ihrer Fähigkeit geblieben, vielleicht hatte sie es gefühlt, wie er ausbrach, oder gesehen, wie er ein Loch in sein Gefängnis riss. Er lächelte und verließ die Box, sah hinter sich und lauschte auf die leiser werdenden Schritte der Männer.
Er hoffte, dass diese Hure ihn gespürt und es gewusst hatte. Es würde sie quälen, und doch würde sie es nicht für möglich halten, dass er wieder zurückbekommen könnte, was sie ihm genommen hatten. Sie hatten sich für so schlau gehalten, und sie hatten geglaubt, der Stein sei für alle Zeit verloren, aber wie immer hatten
sie ihn unterschätzt. Keiner von ihnen hatte von dem Kind gewusst.
Azoth lächelte in sich hinein, fuhr mit seinen Fingern über das raue Gestein und spürte die Wärme, als er seinen Geist dort hindurchfließen ließ und dann nach oben lenkte, um das Blut zu suchen, das nach ihm rief.
Bald würde seine Arak-si zu ihm kommen. Sie würde ihm helfen, den Ring zu finden, und er würde sie benutzen, um einen Teil seiner Macht zu erneuern. Es erzürnte ihn, dass er keinen Zugang zum Brunnen der Macht hatte, den der Schöpferstein ihm gewährt hatte. Ohne ihn war seine Macht geschmälert. Er hungerte nach seiner Arak-si , um die Macht neu zu erlangen.
Nuathin war sehr wertvoll gewesen. Er hatte sie gequält und ihr gewisse Dinge gezeigt. Wenn Azoth seinen Geist wandern ließ, dann konnte er sie beinahe spüren, auch wenn sie tief verborgen in dieser Stadt der Sklaven war. Und schon bald würde sie ihn ebenfalls wahrnehmen. Bald würde sie ihren Träumen folgen und sich Hilfe von dem alten Mann erhoffen. Bald schon würde sie ihn außerhalb ihrer Träume hören.
Er schloss die Augen, glitt zurück in den Äther und rief wieder nach ihr.
25
T allis erwachte und fühlte sich seltsam ausgeruht und voller Tatendrang. Shaan war nicht zurück zum Gasthaus gegangen. Sie hatten sich bis spät in der Nacht unterhalten, und sie war zu müde gewesen, um dann noch aufzubrechen. Er sah hinüber zum Bett neben seinem, um zu sehen, ob sie schon wach war, aber es war leer.
Überrascht setzte er sich auf und starrte in die frühe Morgendämmerung. Nur spärliches, graues Licht fiel durch das Fenster herein, und die Luft war schwer von Wärme und Feuchtigkeit. Ganz in der Nähe lag Jared ruhig und entspannt da, doch Shaan konnte er nicht entdecken. Aber spüren konnte er sie. Ein ersticktes, schnelles Atmen kam aus der Ecke des Raumes, und er sah sie an die Wand gedrückt, die Knie zur Brust gezogen. Sie war wach, hatte die Augen weit aufgerissen und war völlig verängstigt.
»Shaan!« Er sprang aus dem Bett und stürzte zu ihr; der Fußboden war kühl unter seinen nackten Füßen. »Was ist denn?« Tallis kniete sich neben sie.
Sie blinzelte, als ob sie erst in diesem Moment begreifen würde, dass er da war. Trotz der Wärme im Zimmer zitterte sie.
»Shaan.« Er sprach
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