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Der Herr Der Drachen: Roman

Titel: Der Herr Der Drachen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lara Morgan
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leise mit ihr, so, als würde er versuchen, ein Kind zu beruhigen. Sie antwortete nicht, und er schob ihr eine Hand unter den Arm, um sie auf die Beine zu ziehen.
    »Komm.« Er führte sie zum Bett, und sie leistete keinen Widerstand. Sie bewegte sich halb vornübergebeugt wie eine alte Frau.
    Er setzte sich neben sie und rief mehrere Male ihren Namen, ehe sie sich ihm zuwandte und ihn ansah. Ihr Blick war unstet, aber sie versuchte, Tallis zu fixieren.
    »Was ist denn los?«, fragte er.

    »Nichts. Es war nur ein Traum. Mir geht es gut.« Sie verschränkte die Arme und warf ihm ein schwaches Lächeln zu.
    »Ist dir kalt?« Er legte ihr eine Hand auf die Schulter. Sie starrte sie an, dann stand sie abrupt vom Bett auf und wich vor ihm zurück, als habe seine Berührung sie versengt.
    »Nein, nein, mit mir ist alles in Ordnung.« Ihr Gesicht war bleich, und ihr Blick huschte von ihm zu Jared und durchs Zimmer, ohne irgendwo hängen zu bleiben. »Ich muss gehen.«
    »Warte.« Er stand auf. »Ich begleite dich.«
    »Nein!« Ihre Stimme war so laut, dass Jared sich rührte und herumrollte, um zu sehen, was los war.
    »Shaan?«, fragte er und blinzelte schläfrig.
    »Es tut mir so leid. Ich muss gehen«, wiederholte sie und begann, sich rückwärts zur Tür zu schieben.
    Tallis überfiel plötzlich ein alles überlagerndes Gefühl von Furcht, dass er sie vielleicht nie wieder finden würde und dass sie verschwinden würde, wenn er sie jetzt gehen ließe.
    »Nein, warte.« Er bewegte sich schnell und packte sie am Arm. »Was ist denn? Irgendetwas stimmt doch nicht.«
    »Es ist nichts, nichts.« Sie sah nun etwas gefasster zu ihm hoch. »Es ist alles in Ordnung. Ich muss zurück zum Gasthaus. Sie werden sich schon fragen, wo ich stecken mag. Ich hätte letzte Nacht arbeiten sollen, Torg wird wütend sein.«
    Aber Tallis spürte die Sorge, die in ihren Worten mitschwang. Irgendetwas stimmte nicht; sie hatte ganz eindeutig Angst.
    »Shaan …«
    »Nein, Tallis.« Sie schob seine Hand weg. »Ich muss jetzt gehen, und du musst hierbleiben. Wenn du verschwindest, wird Balkis Männer losschicken, die dich wieder zurückholen.«
    »Tallis.« Jared war jetzt richtig wach und hatte sich aufgesetzt. »Lass sie gehen: Sie wird wiederkommen.« Er warf ihr ein beiläufiges Grinsen zu. »Das wirst du doch, oder?«
    »Ja, ich werde heute Abend wieder hier sein«, sagte sie und lächelte; aber da lag keine Wärme darin, nur eine seltsame Verzweiflung, für die Tallis keine Erklärung hatte.

    »Wirklich, das werde ich«, betonte sie und ging zur Tür. Gerade, als sie die Klinke hinunterdrückte, drang ein klagender, schriller Schrei von draußen herein. Shaans Kopf fuhr nach oben, und sie lauschte, während der Schrei gespenstisch über ihren Köpfen widerhallte. Tallis’ Magen verkrampfte sich, und sein Atem stockte ihm in der Kehle. Shaan drehte sich zu ihm um, und ihre Augen waren von einem tiefen Indigoblau. »Die Drachen sind unruhig heute«, sagte sie, und dann war sie verschwunden. Leise schloss sich die Tür hinter ihr.
    Tallis blieb stehen und lauschte, als weitere Schreie die Luft erfüllten, und er spürte die vibrierende Energie in seinem Blut singen.
     
    Als Tuon sich auf den Weg zurück zum Tempel machte, war es still in der Stadt. Es gab kaum Licht, und es waren nur sehr wenige Menschen unterwegs. Ein dunkles Wolkenband hing am Himmel, sodass ein seltsam blasser Schein über der Stadt lag und der Großteil der warmen Luft nicht entweichen konnte. Tuon umklammerte ein kleines Stoffsäckchen mit duftenden Gewürzen, ein Geschenk für die Schwestern.
    Sie hatte ein schlichtes, hellrosafarbenes Wickelkleid mit weiten Dreiviertelärmeln angezogen, und ihr Haar war gebürstet und hoch auf dem Kopf mit einem Kamm befestigt. Jedem auf der Straße wäre sie gelassen und ruhig erschienen, aber in ihrem Innern rumorte die Angst. Rorc hatte ihr nächstes Treffen vorverlegt. Das sah ihm gar nicht ähnlich und machte sie nervös. Und Shaan war in der letzten Nacht nicht nach Hause gekommen. Tuons Finger, die das Säckchen hielten, versteiften sich. Es war erst ein Tag seit Petars Tod vergangen; sie sollte nicht einfach so in der Stadt herumspazieren. Alles Mögliche könnte geschehen.
    Ein entsetzliches Bild stieg in ihr auf. Sie sah Shaan vor sich, wie sie unter Beobachtung der Glaubenstreuen in einer Zelle festsaß. War das der Grund, warum Rorc sie zu sich beordert hatte? Hatte er Shaan bereits bei sich und wusste von dem Traumseher?

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