Der Herr Der Drachen: Roman
»Du hast sie eines Tages dabei ertappt, wie sie Tuon gefolgt war.«
»Shaan?«
»Ja, das stimmt, so heißt sie.«
Rorc runzelte die Stirn. »Ich hätte sie besser im Auge behalten sollen«, sagte er, dann warf er Morfessa einen scharfen Blick zu. »Dein Erinnerungsvermögen ist erstaunlich schlecht, alter Mann. Wie du dich entsinnen solltest, hast du mir gegenüber damals eine Bemerkung gemacht, dass etwas an ihr seltsam ist. Sie kam dir vertraut vor.«
Morfessa erstarrte. »Tatsächlich?« Er rieb sich über die Wange und starrte ins Leere. Warum war ihm das entfallen? Sein Gedächtnis
war in letzter Zeit so getrübt und wirr. Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht … Aber es gibt etwas, woran ich mich erinnere: Sie - Shaan - erzählte mir, dass sie eine Freundin habe, der wiederum ein seltsames Wort zu Ohren gekommen sei, und sie wollte wissen, ob ich es kenne.« Er holte Luft. »Das Wort war Arak-si .«
Veila sprang auf. »Nachkomme.«
»Ja.« Er nickte. »Die uralte Sprache der Drachen. Arak war ihr Wort für Azoth. Arak-si meint wörtlich genommen einen, der von ihm geliebt wird, seinen Nachkommen.«
Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann sagte Rorc leise: »Ein Kind des Gefallenen?«
»Ja.« Morfessa nickte. »Und das ist der Grund, warum ich diese Schriftrolle hergebracht habe. Wenn ihr mal hier draufsehen wollt.« Er deutete auf den eng geschriebenen Text. »Es gab eine Zeit, da dachte ich, dass er vielleicht einen Weg gefunden hat, den Schöpferstein zu benutzen, um ein Kind zu zeugen, kurz bevor er verbannt wurde.«
»Wie seid Ihr zu diesen Erkenntnissen gekommen?« Veila trat näher, um einen Blick auf das Pergament zu werfen.
»Ich habe einige Zeit auf den Dracheninseln verbracht. Es steht in den Rollen des Propheten.«
»Wir müssen die Rollen holen«, sagte Veila. »Rorc, habt Ihr mit diesem Mann gesprochen, Torg, und ein Schiff bereit gemacht?«
»Ich habe mich an ihn gewandt, aber die Regenzeit ist so nah, dass es schwer ist, ein Schiff zu finden. Ich bin mir aber sicher, dass es ihm noch gelingen wird, jemanden zu überreden.«
»Aber ich kann jetzt nicht hier weg«, protestierte Morfessa. »Ich muss hierbleiben und den Gesundheitszustand der Führerin überwachen.«
»Das stimmt. Ich werde gehen.« Veilas Blick huschte zu Rorc.
»Es ist zu gefährlich«, sagte Cyri leise. Aber Rorc sagte mit grimmigem Gesicht: »Wir werden das später besprechen. Jetzt sollten wir uns erst mal mit Shaan unterhalten.«
»Ja.«
Morfessa schaute auf seine Hände. An seinen Fingern klebten getrocknete Weinreste. Rorc sah ihn unverwandt an. »Gibt es sonst noch irgendetwas?«
Sein Kopf begann wieder zu schmerzen, und er rieb sich die Stelle zwischen den Augen. »Es ist nur … Wenn Azoth tatsächlich ein Kind hat, welche Absicht steckte dann dahinter?« Er schaute in Rorcs dunkles, angespanntes Gesicht. »Ich kann nicht glauben, dass einer wie er einfach nur einen Säugling in den Armen halten wollte, noch dazu einen, der zum Teil sterblich war. Nein«, er schüttelte den Kopf, »ich glaube, es steckte ein Vorhaben dahinter, als er den Schöpferstein benutzte, um Leben zu erschaffen. Ich denke, er wusste, dass sein Ende nahte. Er dürfte gespürt haben, dass die Vier erwachten - wie hätte es anders sein sollen? Und er wird gewusst haben, dass es für sie nur einen Weg gab, ihn zu besiegen, nämlich indem sie ihm den Stein nahmen.« Er hielt inne. »Ich glaube, das Kind, das er zeugte, könnte mit einer innewohnenden Verbindung zum Schöpferstein zur Welt gekommen sein, und diese Verbindung könnte von Generation zu Generation weitergegeben worden sein.«
»Bis jetzt, wo er einen Weg gefunden hat, sich selbst zu befreien«, beendete Veila den Gedanken. »Und der Nachfahre ist der Schlüssel.«
»Ja.« Morfessa sah sie an. »Und Azoth wird seinen Nachfahren brauchen, um den Schöpferstein zu finden und seine Macht zurückzuerlangen.«
Einen Moment lang breitete sich Stille zwischen ihnen aus, dann wurde sie von Rorc gebrochen: »Ich werde meine Männer ausschicken, damit sie Shaan hierherbringen.«
Er schlich wie ein Schatten durch die dunklen Gänge der Drachenkuppel und lächelte, während er den Rufen der Drachen lauschte, die im Stein widerhallten. Er wusste, dass er ein Risiko eingegangen war, als er hergekommen war, aber ein ständig stärker werdendes Gefühl der Dringlichkeit hatte ihn dazu gebracht. Er war jetzt nah, und das konnte er spüren.
Hier hatte er sein wollen, um
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