Der Herr Der Drachen: Roman
protestieren. Schweigend liefen sie eine Weile, dann sah sie, dass sie sich einer weißen Mauer mit einem kleinen Tor näherten. Plötzlich traf sie die Erkenntnis, und ihr Magen machte einen Satz. Morfessas Haus! Was wollte Balkis bei diesem alten Mann?
Hierher hatte sie an diesem Morgen kommen wollen, aber nun spürte sie beim Anblick des Tores einen Kloß der Angst in ihrem Hals. Die Haare in ihrem Nacken stellten sich auf, und sie bekam eine Gänsehaut. Etwas war hier falsch, das konnte sie spüren. Da war etwas Böses. Übelkeit überfiel sie, und sie begann, Widerstand zu leisten und ihre Füße gegen den Boden zu stemmen, als Balkis sich dem Tor nähern wollte.
»Nein«, flüsterte sie, und er drehte sich stirnrunzelnd zu ihr hin.
»Was ist?«
Shaan schüttelte den Kopf und versuchte, sich loszureißen. Ihr Atem ging flach, und Panik stieg in ihr auf.
»Shaan, was …?«
»Ich kann da nicht hinein, bitte!« Nun kämpfte sie ernstlich gegen ihn. Irgendetwas war dort drinnen, das konnte sie fühlen, und es zerrte an ihrem Blut und rief nach ihr. Es war wie die Stimmen der Drachen in ihrem Traum. Doch dieses Mal war Shaan wach - wach und verängstigt.
»Shaan?« Balkis hielt sie nun an beiden Armen fest, aber sie ignorierte ihn und strampelte verzweifelt. »Bitte, Balkis, nicht!« Doch er war zu stark für sie.
»Hör auf!« Er hob sie hoch und öffnete das Tor, dann schob er sie gewaltsam hindurch.
Der Pfad war ein dunkler Tunnel. Vom Haus aus fiel schwaches Licht durch die Bäume, und ringsum raschelten Insekten in den Pflanzen. Shaans Blut schoss durch ihre Adern, und das Geräusch dröhnte in ihrem Schädel. Balkis ließ sie zu Boden sinken, und sie drehte sich um und ging mit ihren Fäusten auf ihn los, versuchte, ihn wegzuschubsen oder zur Seite zu drängen, nur um entkommen zu können.
»Shaan, was ist denn?«, stieß er zwischen den Zähnen hindurch aus, während sie mit ihm rangelte.
»Du verstehst nicht! Ich kann da nicht hinein!« Verzweiflung überwältigte sie, als sie den Geruch von nasser Erde in der Nase hatte, der um sie herum wie Dunst aufstieg, und wie aus großer Entfernung hörte sie das Knacken und Zischen von Feuer. Die Bilder vor ihren Augen verschwammen, und als eine Welle der Angst sie überflutete, schrie sie auf. Sie spürte, wie die Schwärze nach ihr griff. »Nein!« Entsetzt streckte sie die Hände nach Balkis aus, als ob er sie halten könnte.
Seine Stirn furchte sich. »Shaan?« Doch schon wurde sie von ihm fortgerissen. Sie versuchte, dagegen anzukämpfen. Es war nicht richtig. Sie war wach. Nicht jetzt! Die Welt unter ihr begann zu schwanken, und sie taumelte.
»Shaan!« Seine Stimme war scharf, und er schlang die Arme um sie, um sie zu stützen. Sie starrte ihm ins Gesicht, konnte ihn jedoch nicht richtig erkennen, und es war, als ob sie sich unter Wasser
befände. Geschwächt versuchte sie, sich an ihn zu klammern, versuchte, sich an der Welt festzuhalten, an ihm.
Und dann erinnerte sie sich, und Panik erfasste sie. Er berührte sie! Er würde sterben! Nein! Sie rang mit ihm, versuchte, ihn fortzustoßen, aber er war gar nicht länger dort. Mit einem letzten Schrei versank sie in der Dunkelheit.
Balkis hob Shaan auf seine Arme, als sie ohnmächtig wurde. Was war gerade geschehen? Es war, als ob sie sich an etwas festzukrallen versuchte, während sie fortgerissen wurde. Er bekam es mit der Angst zu tun, wiegte sie an seiner Brust und rannte den Pfad hinunter. Sie atmete noch, aber zu schnell, und ihre Hände schlossen und öffneten sich unablässig, als versuchte sie, irgendwo Halt zu finden.
Sein Herz hämmerte, als er hinter dem dunklen Weg Morfessas Garten erreichte. Mit wenigen, langen Schritten war er bei der Eingangspforte. Er trat dagegen und schrie, dass man ihm öffnen solle, und da schwang die Tür auf. Prin stand im Rahmen und sah ihm entgegen. Die Augen des jungen Mannes ruhten sofort auf Shaan.
»Septenführer«, sagte er mit kalter, leiser Stimme.
»Aus dem Weg«, befahl Balkis.
Prin ließ den Blick langsam zu ihm wandern. »Bitte, kommt herein, die anderen warten schon.« Er öffnete die Tür weiter und trat einen Schritt zurück, ein halbherziges Lächeln auf dem Gesicht.
»Geht und holt Morfessa und den Kommandanten«, wies Balkis ihn an.
Prin stand einen Moment reglos da, seine Augen huschten wieder zu Shaan, und Balkis spürte, wie sein Nacken kribbelte. »Sofort«, herrschte er Prin an, und sein Instinkt brachte ihn dazu, Shaan von
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