Der Herr Der Drachen: Roman
noch immer fest.
Sie holte tief Luft und wehrte sich gegen ihn. Das Gefühl von brennendem Eis war fort, und die kleine, blonde Frau lag auf dem Boden neben Morfessa, die Augen geschlossen. Einen entsetzten Moment lang glaubte Shaan, sie sei tot. Aber dann hoben sich ihre Lider, und sie starrte Shaan hinterher, während Prin sie zur Tür zerrte.
»Azoth«, sagte sie und hielt Shaans Blick. »Hüte dich!« Und dann war Shaan verschwunden, denn Prin hatte sie aus dem Raum gezogen.
28
T allis drückte sich hinter Attar tief in den Sattel und starrte nach vorne in den Wind. Marathins Flügel waren zu beiden Seiten ausgebreitet wie von Adern überzogene Segel und schnitten durch die Lüfte. Unter ihnen erstreckte sich die Stadt Shalnor die Küstenlinie entlang, und die Häuser wirkten aus dieser Höhe wie vereinzelte Kiesel, die der Fluss ausgespuckt hatte.
Sie flogen schon seit dem Morgen, und inzwischen war Mittag vorüber. Tallis’ Beine schmerzten davon, dass er sich mit ihnen auf dem Drachenrücken festzuklammern versuchte, und seine Finger waren eiskalt und schlossen sich fest um die stählerne Sattelstange. Die Reiter hatten ihm und Jared robuste Mäntel aus gegerbtem Muthu-Leder gegeben, die den Wind abhielten, und lederne Beinlinge und einen Lederhelm, die sie vor Wind und Regen schützen sollten. Die Kleidung verhinderte, dass die Luftströmungen bis auf die Haut durchdrangen, aber Tallis machte sein Rücken zu schaffen, weil er seit Stunden schon in der gleichen Position saß.
Er verdrängte den Schmerz und dachte stattdessen an Shaan. Dass er aufbrechen musste, hatte er ihr nicht mehr sagen können. Tallis hatte die Stadt nicht verlassen wollen, aber Rorc hatte ihnen kaum eine Wahl gelassen. Wenn sie bleiben und etwas lernen wollten, hatte er gesagt, dann müssten sie auch etwas zurückgeben: Sie müssten unter Beweis stellen, dass sie die Ausbildung wert seien und das Zeug zu Kriegern hätten. In Tallis’ Ohren hatte das wie etwas geklungen, was auch ein Clansmann hätte sagen können. Und es war etwas, das er verstand. Eine Prüfung, eine Initiation. Sie sollten mit Attar und Bren über die Schwarzen Berge hinweg in das kleine Dorf Faro fliegen und herausfinden, ob dort irgendjemand überlebt hatte.
Noch immer konnte er Shaans Nähe spüren: Es war ein dumpfes Pulsieren wie ein zweiter Herzschlag, der ihm verriet, dass sie am Leben war. Auch hatte er eine vage Vorstellung davon, wo sie sich befand. Das alles tröstete ihn jedoch nur wenig, denn er sorgte sich noch immer um sie.
Attar gab Bren auf Haraka ein Handzeichen, und die Drachen drehten und ließen sich in Richtung Stadt absinken. Sie glitten tief hinunter über die staubigen Straßen auf dem Weg zum Außenposten der Reiter auf der Hügelspitze, dem gleichen Ort, an dem sie auch halt gemacht hatten, als sie auf dem Weg nach Salmut gewesen waren. Tallis klammerte sich fest, als Marathin die Flügel eng an den Körper anlegte und geradewegs hinab zur Erde stieß wie ein Habicht, der seine Beute schlägt. Der Wind pfiff in seinen Ohren und trieb ihm die Tränen in die Augen, und er spürte das tiefe Vibrieren der Lebenskraft des Drachen in seiner Brust, als würde dort eine große Trommel geschlagen. Im letzten Augenblick öffnete Marathin ihre Schwingen wieder, und es war ein Geräusch wie von einer großen Leinwandplane, die im Wind schnalzte. Sie segelte ein Stück und setzte dann zur Landung an. Ihre Klauen und ihr Schwanz kratzten über den harten Stein des Hofes. Ihre Flanken bebten, und Tallis spürte ein Glühen tiefer Befriedigung von ihr ausgehen, als sie den Kopf drehte und den Mann ansah, der sie im Schatten der Gebäude erwartete.
Es war Vilan, der Mann mit den rothaarigen Töchtern. Tallis erinnerte sich an das, was geschehen war, als sie beim letzten Mal hier Rast gemacht hatten: Er hatte versucht, sich mit Marathins Gedanken zu verbinden, und sie hatte ihn mit dem Flügel von den Beinen gewischt. Er würde es nicht noch einmal versuchen. Stattdessen schwang er ein Bein über ihren Rücken und sprang hinunter, während Haraka neben ihnen mit einem dumpfen Donnern landete, das den Boden erbeben ließ.
»Hier, nimm das.« Attar reichte Tallis zwei leere Wasserschläuche, dann wandte er sich um und begrüßte den Mann im Schatten. »Vilan!«, rief er und winkte ihm zu. Der stämmige Mann kam näher, um Attar die Hand zu schütteln.
Tallis nickte er zu. »Sehen wir uns also wieder, Clansmann«, sagte er zu ihm, ehe er sich zu
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