Der Herr Der Drachen: Roman
Wahl. Es gibt viele Schwierigkeiten, die auf diese Stadt zukommen, mehr, als du wissen kannst. Und ich brauche dich, um …« Er brach ab und zügelte sich. »Ich brauche dich, damit du mit Veila zu den Inseln aufbrichst.
Ich will sie nicht allein dorthin schicken, und es gibt niemanden sonst, den ich entbehren kann. Du musst Torgs Leichnam zu seiner Mutter nach Hause begleiten. Abgesehen von mir hast du ihn am besten gekannt, und es wäre ohne jeden Respekt seinem Volk gegenüber, wenn ich einen Geringeren schickte.«
Tuons Inneres war zum Zerreißen angespannt. »Wirst du mir vorher noch eine Frage beantworten«, setzte sie an, und nach einer kurzen Pause nickte er und verschränkte die Arme vor der Brust. »Warum hat dieser Mann Torg den Erben des Propheten genannt, und was ist der Ring des Propheten? Er hat ihn Torg abgenommen, den goldenen Ring, den er immer im Ohr getragen hat. Deswegen hat er ihn getötet. Ich will wissen, was das zu bedeuten hat.«
Rorc runzelte die Stirn und schaute zur Seherin. »Ich weiß nicht …«
»Ein Ring?« Veila zog die Augenbrauen zusammen. »Davon habe ich noch nie gehört. Bist du dir sicher, dass er ihn nicht als Trophäe seines Mordes an sich genommen hat? Als ein Pfand seiner Macht vielleicht?«
»Nein.« Tuon schüttelte den Kopf. »Als er ihn sah …« Sie geriet ins Stocken und sah wieder den angsteinflößenden Blick vor sich, die unmenschlichen Augen. »Er wollte diesen Ring.«
»Es muss mehr als ein Ring sein«, sagte Veila. »Er wird ihn für irgendetwas brauchen. Wir müssen diese Rollen so schnell wie möglich holen, Rorc. Ich muss zu den Inseln.«
Er nickte. »Ich habe bereits ein Schiff angeheuert, aber Ihr müsst noch auf die Morgenströmung warten, ehe Ihr aufbrechen könnt.«
»Dann werde ich das Zwielicht durchsuchen, ehe wir die Reise beginnen. Ich werde versuchen, Azoth zu finden, wenn es mir möglich ist.«
»Azoth?« Tuon sah von einem zur anderen. »Ihr glaubt, dass er es war?« Ein eisiger Schauer lief ihr den Rücken hinunter. Wieder stand der Name des Gefallenen im Raum. Es war nicht möglich, dass Shaan eine Verbindung zu ihm haben sollte. »Ich verstehe das nicht.«
Rorcs Gesichtsausdruck wurde weicher. »Tuon …«
»Komm mit mir«, unterbrach Veila ihn. »Auf dem Schiff werde ich dir alles erklären, was ich kann.« Sie legte ihr ermutigend eine Hand auf den Arm. »Du musst tun, was Rorc von dir verlangt, und darauf vertrauen, dass es zu deinem Besten ist, denn er sorgt sich um dich und will nicht, dass dir etwas geschieht.«
»Veila!«, protestierte Rorc; Tuons Herz pochte, und eine längst verdrängte Hoffnung keimte wieder auf. Eine Sekunde lang sah er ihr in die Augen, doch dann bewegte sich Veila und zog Tuon auf die Beine.
»Komm, du musst mich in meine Räume begleiten und mir dabei helfen, alles für die Reise vorzubereiten. Rorc …«
»Ich werde zum Hafen gehen«, sagte er. »Ich schicke Cyri zu Euch, wenn die Sonne untergeht.«
Veila nickte. »Danke. Und jetzt komm.« Entschlossen zog sie Tuon am Arm. Diese folgte ihr, hielt aber ihre Augen gesenkt, als sie an Rorc vorbeiging, der einen Schritt zurücktrat, um ihr Platz zu machen. Doch als sie den Raum verlassen hatte, konnte sie nicht mehr anders. Sie schaute noch einmal zurück und blickte in seine grünen Augen, die ihr nachgesehen hatten. Rasch drehte sie wieder um und eilte der Seherin hinterher, während sie Rorcs Blick in ihrem Rücken spürte.
Veila führte sie aus dem Tempel, und als sie auf die Straße hinaustraten, war das tiefe Grollen eines Donners zu hören. Eine ängstliche Spannung lag über der Stadt, und die Menschen hasteten in kleinen Gruppen an ihnen vorbei, die Gesichter verkniffen. Vorahnungen und Furcht waren beinahe greifbar, und immer wieder wehte ein seltsam klagender Schrei über die Dächer, der aus der Richtung der Drachenanlage kam. Tuon lief es dabei kalt den Rücken hinunter, und sie ging dicht neben der Seherin. Das Gefühl, abgeschnitten und einsam zu sein, nagte an ihr wie ein gefräßiger Wurm, der eine Frucht aushöhlt. Ihr Herz zog sich zusammen, als das Krachen eines Donners ganz nahe der Stadt ertönte, und sie spähte beunruhigt hinauf in den Himmel, an dem sich dicke Wolken drängten. Sie war noch nie auf einem Schiff
gewesen. Was würde passieren, wenn Stürme losbrachen, während sie sich auf dem offenen Meer befanden? Und was hatte da in Rorcs Augen gelegen?
»Tuon.« Veila sprach mit ihr, und als sie den Blick hob, sah sie,
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