Der Herr Der Drachen: Roman
fielen die ersten dicken Regentropfen, spritzten auf den Boden und pladderten auf das Holz der Mole. Tuon stieg aus dem Wagen und stand im Regen, und sie bemerkte es kaum, als Veila sie drängte, ihren wasserdichten Mantel überzuziehen. Ein Licht kam auf sie zu - es war Rorc, der den Steg herunterkam und eine Laterne in der Hand trug. Hinter ihm knackten und schwankten hohe Masten vor dem schwarzen Himmel. Der Mond und die Sterne waren hinter dicken Wolken verschwunden, und der Geruch von frisch aufgeweichter Erde und von Salz lag in der Luft.
Der Wind blies Tuon ins Gesicht, aber sie spürte ihn kaum. Sie beobachtete, wie die Jäger ihr Gepäck griffen und hinter Rorc auf der Mole verschwanden.
»Veila, Tuon.« Rorc sah sie an, und das Licht der schaukelnden Laterne malte Schatten auf sein Gesicht. »Hier entlang. Das Schiff ist schon bereit.«
Sein Blick flackerte zur Seherin, und ein fragender Ausdruck lag in seinen Augen, doch sie schüttelte nur den Kopf. Dann drehte Rorc sich um und führte sie über den langen, knarzenden Landungssteg.
Das Schiff war ein dunkler Berg aus Masten und Seilen, und auf dem Deck huschten Silhouetten entlang. Eine raue Planke reichte vom Steg zum Schiff.
»Danke, Rorc«, sagte Veila. »Wir werden uns beeilen.«
Er nickte, nahm ihre Hand, stützte sie und half ihr auf die Planke, wo sich ihr schon ein anderes Paar Hände, dunkel wie schwarzes Holz, entgegenstreckten.
»Tuon.« Rorc drehte sich zu ihr um und drückte ihr ein kleines Päckchen, in Öltuch eingeschlagen, in die Hände. »Torg ist an Bord. Du musst dafür sorgen, dass seiner Mutter dies übergeben wird, wenn du sie siehst. Kann ich mich darauf verlassen, dass du das tun wirst?«
Doch Tuon konnte nicht antworten. Sie starrte zu ihm empor, und die Welt um sie herum kam ihr unwirklich vor.
Er legte ihr eine Hand unters Kinn und hob ihr Gesicht, sodass er ihre Augen sehen konnte. »Tuon?«
Er war so weit weg. Sie wollte mit ihm sprechen, ihm so viele Dinge erzählen, aber sie schien vergessen zu haben, wie das ging.
»Was ist denn?« Seine Augen suchten ihren Blick, und sie spürte das raue Streicheln seines Daumens auf ihrer Wange. Ihre Brust wurde eng, aber sie schien zu nichts anderem fähig, als ihn ebenfalls anzusehen, um sich das vertraute Gesicht einzuprägen, das Teil ihres Herzens geworden war.
Erst später würde sie bereuen, dass sie die Gelegenheit nicht ergriffen hatte, als sie sich ihr bot. Dass sie sich nicht an ihn gelehnt und ihn zum Abschied geküsst hatte. Doch sie konnte ihn nur anstarren, schweigend und leer.
»Kommandant.« Eine große, dunkelhäutige Frau erschien neben ihm. »Wir sind bereit, die Segel zu setzen.«
Rorc trat einen Schritt zurück. »Gut.«
Der Regen prasselte ihr ins Gesicht und stahl die Wärme, die
seine Hand dort hinterlassen hatte. Er wandte ihr wieder den Blick zu, sein Gesicht war verschlossen, und die Zärtlichkeit, die ihr noch kurz zuvor gegolten hatte, war verschwunden. »Gib Torgs Mutter das Päckchen, und hilf Veila«, sagte er. »Ich sehe dich, wenn du zurück bist.«
Worte stiegen in ihr auf, aber sie konnte sie nicht aussprechen. Ihr Blick zog die Umrisse seines Gesichts nach, damit sie es nicht vergaß.
Rorc nahm ihren Arm und führte sie auf die Planke; sie konnte seinen Griff durch den Mantel spüren. Und dann ließ er sie los, und die Hände einer Fremden geleiteten sie an Deck des Schiffes. Die Welt war auf einmal unstet und schwankte unter ihren Füßen. Sie stolperte, und eine kräftige Hand packte sie, bewahrte sie vor einem Sturz und zog sie vom Rand weg. Rufe ertönten, Füße, die nicht zu sehen waren, trampelten vorbei, und es spritzte und knirschte. Die Planke wurde eingeholt. Sie entfernten sich vom Hafen, und Tuon wurde von Rorc fortgerissen. Ein schwarzer, tobender Wasserspalt öffnete sich zwischen ihnen und wurde immer breiter. Tuon stand an der Reling und schaute zu Rorc hin, das Päckchen an ihre Brust gedrückt, bis Veila kam und sie fortzog in die Dunkelheit des Schiffsrumpfes.
34
S haan klammerte sich an Azoth fest, während Nuathin über das Land preschte. Ihr Kleid war zerrissen, sodass der Großteil ihrer Beine dem Wind preisgegeben war, während sie in die aufgehende Sonne flogen. Sie wickelte den Stoff so eng wie möglich um ihren Körper, kauerte sich zusammen und suchte hinter Azoths breitem Rücken Schutz.
Innerlich war sie leer und mutlos. Immer wieder erinnerte sie sich an Tuon, wie sie im Red Pepino auf dem Boden
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