Der Herr Der Drachen: Roman
bald erhob sie sich wieder von dem Stein und kniete sich in den weichen Schlamm am Teichrand, um ihren gesamten Unterarm ins Wasser zu stecken. Sie benetzte auch ihre Oberschenkel, schloss die Augen und genoss die Entspannung, aber schon nach kurzer Zeit begann ihr Rücken zu schmerzen. Sie ertrug es, so lange sie konnte, dann schmierte sie sich den kühlen Schlamm auf die Haut und setzte sich wieder auf den Felsen, von wo aus sie in das braune, algige Wasser starrte. Sie fühlte sich ausgedörrt und hatte seit dem Vortag nichts mehr gegessen, aber sie verlor kein Wort deswegen. Sie dachte nur noch an ihre Flucht.
Azoth trat an ihre Seite. »Es brennt«, bemerkte er.
Sie sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an, erwiderte jedoch nichts.
Er hockte sich neben sie. »Es amüsiert mich, dass du mich bekämpfst. Ich kann spüren, wie verzweifelt du weg willst.« Er hob einen Finger, um ihr eine Haarsträhne aus der Stirn zu streichen, und sie zuckte zurück. Er lächelte. »Du widerstehst mir nur, weil du nicht weißt, was du bist - was ich bin - und was wir zusammen sein könnten.«
»Du bist ein Mörder«, sagte Shaan. »Ich habe deinesgleichen schon kennengelernt. Wir werden niemals zusammenarbeiten.«
»Bist du dir da so sicher?« Er stand auf und lief um den kleinen Teich herum. »Was hast du im Schwarmbewusstsein der Drachen entdeckt?«
Sie warf ihm einen Blick zu. Also hatte Nuathin ihm davon berichtet. Das überraschte sie wenig; Nuathin war seine Kreatur, sein Geist, seine Seele. Beinahe empfand sie Mitleid mit dem alten Tier. Beinahe.
»Haben sie nicht mit dir über mich gesprochen, Shaan?«, fragte Azoth. »Konnten sie nicht mein Brandmal auf dir spüren?«
»Sie haben nur Unsinn geredet«, erwiderte sie, aber ihr Herz begann schneller zu schlagen, als sie begriff.
»Tatsächlich?«
Shaan gefiel diese Wendung des Gesprächs nicht. »Warum bin ich hier, Azoth?« Sie sah auf und suchte seinen Blick. »Was willst du von mir? Wirst du mich töten?«
»Nur, wenn ich es tun muss«, antwortete er, und seine Augen verrieten, dass er die Wahrheit gesprochen hatte.
Sie schluckte. »Doch erst, wenn ich dir gegeben habe, was du willst.«
Er antwortete nicht sofort, sondern lief erneut um den Teich herum und lauschte darauf, wie seine Stiefel in dem nassen Gras quietschten. Schließlich blieb er stehen und ließ den Blick über den dunklen Dschungel am Horizont schweifen.
»Siehst du die Regenlande? Auch wenn ich glaube, dass sie inzwischen die Wildlande genannt werden. Dort sind viele Geheimnisse verborgen, und in den Bäumen und den tiefen Flüssen liegen Vergangenes und Dinge begraben, die vor langer Zeit verloren gingen.« Seine Stimme wurde weicher, während er über das Gras hinwegschaute.
Shaan betrachtete sein Profil: Seine gerade Nase und seine hohe Stirn wurden vom Nachmittagslicht nachgezeichnet, und ein Schauer überkam sie. Vor ihren Augen schien er zu einem außerweltlichen, entrückten Wesen zu werden. Rings um sie herum wurde es still im Grasland, kein Insekt summte, kein Windhauch regte die grünen Halme. Es war, als hielte die Erde selbst den Atem an und wartete darauf, dass Azoth zu sprechen ansetzte. Und Shaan wartete mit ihr. Er war nicht menschlich. Das wusste sie, und sie hätte sich fürchten sollen. Er konnte sie so mühelos töten. Und doch zerrte das Wesen, das er war, an ihr; sie konnte spüren, wie es an ihr riss und sie wie mit einem unsichtbaren Band mit ihm verbunden war. Es ähnelte dem Gefühl, das sie bei Tallis hatte. Doch wo Tallis wie eine warme Flamme in ihrem Herzen war, war die Verbindung zu Azoth eine kalte Kette, die sich um ihre Kehle wand und unzerbrechlich war. Dies machte ihr mehr Angst als der Tod. Sie fürchtete, dass da kein Zurück mehr sein würde, wenn sie ihm nachgäbe. Sie würde sich vollkommen verlieren.
Er drehte sich um und sah sie an. Seine Augen waren von dunklem Lila, und Shaan fuhr der Schreck durch die Glieder.
»Was willst du von mir?«, fragte sie noch einmal. Ihre Stimme klang heiser und schwach in ihren eigenen Ohren. Er jedoch betrachtete sie, ohne zu lächeln, und musterte sie, als ob er sich jedes Detail ihres Gesichtes einprägen musste.
»Was ich von dir will?« Er drehte sich um und ging zurück zur Lichtung. »Ich will, dass du etwas für mich findest, das ist alles.«
Shaan fürchtete sich. Was könnte sie schon finden, das ihm verborgen war?
Er lächelte. »Es ist nur ein kleiner Gegenstand. Alles, was du tun musst, ist, ihn
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