Der Herr Der Drachen: Roman
gelegen hatte, während die Flammen um sie herum immer höher stiegen, und an Torg, mit einem Messer in der Brust. Entsetzen nagte an ihr. Sie hatte dabeigestanden und nichts getan, als Azoth sich genommen hatte, wonach es ihn verlangte, und jene tötete, die sie liebte. Vielleicht hatte sie ihm sogar geholfen; sie konnte sich nicht mehr erinnern. Sie wollte ihn töten, doch sie hatte kein Messer.
Die riesigen, lederähnlichen Flügel des Drachen hoben und senkten sich und schnitten in gleichmäßigem Rhythmus durch die Luft. Shaan sah hinab zu den Ländern weit unter ihnen, die sich bis zum Horizont erstreckten. Das schwache Sonnenlicht streifte die Gipfel der Hügel. Donner grollte in der Ferne, und schwarze Wolken schoben sich langsam auf die Küste zu wie eine Bergkette, die das Meer verschlingen will.
Der Himmel jenseits davon war leer.
Sollten da nicht Reiter hinter ihnen herjagen? Die anderen werden uns nicht folgen, sprach Nuathin plötzlich ohne Vorwarnung in ihrem Geist. Sie fürchten sich. Sie befürchten, dass er zornig auf sie ist, weil sie einen Pakt mit den Azim geschlossen haben. Noch erinnern sie sich nicht wieder an die wahren Wege.
Du aber schon , erwiderte Shaan bitter.
Ja. Der Vater hat sie mir gezeigt . Shaan hasste auch diesen Drachen und versuchte, ihren Geist vor ihm zu verschließen, aber Nuathin brach in ihre Gedanken ein . Arak-si , zischte er. Dein Blut singt.
Hör auf ! Shaan knirschte mit den Zähnen und hätte dem Drachen am liebsten ein Messer in seine harte Haut gerammt.
Azoth lächelte und streichelte ihre Hände, die sich um seine Taille geschlungen hatten. Sie riss sie weg, doch da ließ sich Nuathin ruckartig absinken, und sie war gezwungen, wieder an Azoth Halt zu suchen. Azoth gab keinen Laut von sich, aber sie wusste, dass er sie auslachte. Wutschnaubend verfiel sie wieder darauf, nach unten zu starren, und versuchte, sich ganz in sich zurückzuziehen und ihren Geist abzuschirmen.
Sie flogen immer weiter, und sie verlor jedes Zeitgefühl. Die Hügel wichen Tälern, die Sonne stieg höher und machte sich dann wieder an den Abstieg, und Shaans Magen wurde hohl vor Hunger. Und doch flogen sie unaufhörlich weiter. Die vorbeirauschende Luft ließ ihre Haut taub werden, und immer mehr fühlte Shaan sich von der Welt losgelöst. Sie spürte, wie Azoth nach ihren Händen griff, aber es kam ihr vor, als wären diese weit von ihrem restlichen Körper entfernt. Erschöpfung bemächtigte sich ihrer, und ihr Geist schweifte ab.
Balkis, der seine Lippen auf ihre drückte, das Gesicht in grimmiger Verzweiflung verzerrt, tauchte vor ihr auf, und Traurigkeit machte sich in ihr breit und ließ ihre Kehle eng werden. Sie verdrängte den Gedanken und hatte Angst vor ihren eigenen Gefühlen. Doch das Bild wurde nur ersetzt durch andere von Tuon und Torg, blutend, sterbend. Shaan warf den Kopf zur Seite, überwältigt von ihrem Kummer. Tränen rollten aus ihren Augen und wurden vom Wind weggetrieben. Dieser Wind, der in ihren Ohren toste, war alles, was sie jetzt noch hören konnte, und er riss gleichmäßig heulend an ihr. Sie schloss ihre Augen. Dunkelheit stieg auf und umfing sie, und dankbar ließ sie sich hineingleiten, denn sie sehnte sich nach Vergessen, und sie ließ sich in einen Traum davontragen. Doch auch dort fand sie keinen Frieden. Mit
wachsendem Entsetzen spürte sie, wie die vertraute Schwärze nach ihr griff. Sie versuchte, ihre Augen wieder aufzureißen, doch sie befand sich schon im Zwielicht. Alles um sie herum war finster und kalt, so kalt. Ihren Körper konnte sie nicht mehr spüren. Sie war nichts: ein körperloser Geist, der durch die Finsternis trudelte - und sie war nicht allein. Da beobachtete sie etwas und wartete. Sie konnte es spüren, aber nicht sehen. Sie wollte aufwachen, fliehen, aber sie wusste nicht, wohin. Voller Schrecken begann sie zu schreien.
Und dann hörte sie ihren Namen. Shaan. Azoths Stimme hallte in ihrem Kopf. Er hatte sie gefunden. Er würde sie retten. Sie hasste ihn, aber sie konnte sich nicht mehr selber retten, und so streckte sie ihre Arme nach ihm aus. Ein mächtiger Ruck durchfuhr sie, und sie schlug die Augen auf.
Unter ihrem Rücken war kalter, trockener Erdboden, und Azoth beugte sich über sie und wiegte ihren Kopf in seinen Händen. Shaan blieb gerade noch Gelegenheit, festzustellen, dass es Nacht war, als auch schon jeder klare Gedanke floh und Schmerz ihren Schädel zu spalten schien. Sie presste ihn in ihre Hände und
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