Der Herr Der Drachen: Roman
Nuathins Flügel flappten träge links und rechts von ihr oder spreizten sich, um auf der warmen Luft zu segeln.
»Hast du Schmerzen?«, fragte Azoth, doch sie beachtete ihn nicht.
Die Frage schien keiner Sorge zu entspringen, sondern war
lediglich eine Feststellung, als wäre sie ein Insekt, das es zu studieren galt - oder zu zermalmen.
Ihre Hand tat wieder weh, und ihr Kopf pochte, aber der Zorn über ihre eigene Schwäche brachte sie zum Schweigen. Sie hatte zugelassen, dass er sie rettete. Warum nur war sie derartig hilflos? Sie setzte sich so gerade auf, wie es ihr möglich war, und versuchte, Azoths Körper nur dort zu berühren, wo es unvermeidlich war. Ihn belustigte dieses kleine Aufbegehren, das wusste sie. Sie spürte, wie er sie belächelte. Ihren Hass und ihre Wut steigerte das nur.
Sie schloss ihre Augen im Wind. Im Innern konnte sie noch immer ganz schwach Tallis an sich ziehen spüren. Es war nun nur noch wie das letzte schwache Glimmen eines heruntergebrannten Feuers, doch sie konnte die Wärme auch jetzt noch fühlen. Das gab ihr Hoffnung. Sie war nicht allein, nicht völlig jedenfalls. Azoth mochte ihr zwei derjenigen genommen haben, die sie am meisten geliebt hatte, aber er wusste nichts von Tallis. Und er würde auch nichts von ihm erfahren, dachte sie grimmig entschlossen. Sie umschloss den Gedanken an Tallis und vergrub ihn tief in ihrem Innern. Sie würde ihn vor Azoth verborgen halten, selbst wenn das bedeuten würde, dass sie ihn selbst kaum mehr würde spüren können. Denn wenn Azoth von ihm wüsste, dann würde er versuchen, ihr auch ihn zu entreißen, da war sie ganz sicher.
Sechs Tage und Nächte flogen sie über unbekannte Länder. Es war heiß und trocken, und während des Tages konnte sie westlich von ihnen einen ständigen, wabernden Schimmer am Horizont erkennen. Azoth hatte ihr erklärt, dass dies die Wüstenlande seien, die sie jedoch nicht überfliegen würden. Sie würden an der Küste entlang ihrem Ziel entgegenreisen.
»Die Wüstenlande sind nicht unsere Gebiete«, erklärte er ihr. »Da gibt es nichts für unsereins, und nichts, das uns will. Wir richten uns nach Norden.« Und er hatte sie eindringlich angesehen und sie gefragt, ob sie irgendetwas spüre oder erraten könne,
wohin sie unterwegs seien. Sie jedoch hatte ihm den Rücken zugekehrt und geschwiegen. Wie wenig er doch wusste.
Die Sonne verbrannte ihre Haut und quälte ihre verletzte Hand. Azoth ignorierte den Umstand, dass ihr Kleid schmutzig und zerrissen war. Der Stoff war von der rauen Haut des Drachen fadenscheinig geworden und die Haut an ihren Beinen wund und roh. Wenn sie Rast machten, war jeder Schritt schmerzhaft, und immerzu hatte sie Durst. Azoth schien kaum essen oder trinken zu müssen, und sie fragte sich, warum er sie nicht einfach gleich tötete. Wenn sie gezwungen wäre, noch länger auf diese Weise weiterzumachen, würde sie ohnehin sterben. Aber er tat es nicht, und am fünften Tag, als die Sonne wieder aufging, spürte Shaan voller Erleichterung etwas Feuchtigkeit in der Luft, und sie sah Wolken am Himmel entlangjagen.
In der Ferne versperrte ein dunkler Schatten den Horizont, doch unter ihnen war die Erde sanft gewellt und spärlich bewachsen. Das dunkle Band eines Flusses schlängelte sich hindurch, und als sie nach links sah, bemerkte sie, dass das Land flach auslief und sich scheinbar endlos weit erstreckte. Doch sie rasteten vorerst nicht mehr. Karge Hügel und vereinzelte Bäume wichen weiten Ebenen mit hohem, dunkelgrünem Gras, von Myriaden kleiner Teiche durchbrochen.
Und endlich, als sich die Sonne zum Horizont senkte, begann Nuathin tiefer zu gleiten. Er flog einen Kreis und setzte in der Nähe eines Teiches auf einer Lichtung auf, die von wogendem Gras umringt war. Der Erdboden war aufgeschwemmt und feucht, und Insekten surrten über dem stehenden Wasser. Das Gras reichte Shaan bis zur Hüfte und erstreckte sich ringsum bis zum dunklen, bergähnlichen Massiv am Horizont.
»Die Regenlande«, sagte Azoth und nickte in Richtung der Schatten. Er sah Shaan an, als erwartete er irgendeine Antwort, doch sie drehte ihm den Rücken zu und suchte nach einer trockenen Stelle zum Hinsetzen. Sie verscheuchte die Fliegen und hockte sich auf einen kleinen Felsen in der Nähe des Teiches.
Dann tauchte sie die Hand in das stinkende Wasser und ließ
es über die verbrannte Stelle laufen. Es war nicht viel kühler als die Luft, aber die Nässe war eine willkommene Erleichterung. Schon
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