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Der Herr Der Drachen: Roman

Titel: Der Herr Der Drachen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lara Morgan
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kräftigen Kiefer, eine gerade Nase und blaue Augen, die alle Arbeiterinnen in der Anlage erröten ließen, wenn er an ihnen vorbeilief. Aber es waren auch ebenjene Augen, die seinen wahren Charakter verrieten, denn sie waren voller Arroganz. Balkis war der Sohn eines reichen Händlers und
hatte ein angenehmes Leben geführt, in dem ihm alles auf dem Silbertablett serviert worden war.
    Mit einem Mal wurde die Tür zum Schankraum aufgestoßen, und ein junger Mann stürmte schwer atmend herein. Er stieß gegen einen unbesetzten Tisch, der über den Steinboden schlitterte und Stühle mit sich umriss. Alle Gespräche ringsum verstummten, und die Köpfe der Gäste wirbelten herum.
    »He!«, brüllte der Mann an der Bar, aber der Jugendliche beachtete ihn überhaupt nicht. Vornübergebeugt, um schneller rennen zu können, machte er einige weitere Schritte und sah sich dabei verzweifelt im Raum um. Er sucht nach einem Ausweg , dachte Shaan, und dann traf sie die Erkenntnis: Dieses Gesicht war ihr vertraut. Es war älter inzwischen, aber sie kannte den Jungen. Tamlin. Tam, wie sie ihn immer genannt hatte. Er trug einen kleinen Lederbeutel bei sich.
    Das Blut schoss ihr in die Wangen, als der Blick des Jungen über sie hinweghuschte, weiterwanderte und dann zurückschnellte. Auch er hatte sie erkannt. Vor wem auch immer er davonrannte, er würde wohl jeden Moment durch die Tür kommen. Der Wirt versuchte, Tam zu packen zu bekommen. Shaans Herz klopfte schneller. Sie sollte reglos sitzen bleiben und gar nichts tun. Aber sie brachte es nicht über sich, sondern erhob sich langsam von ihrer Bank. Die Zeit schien rückwärts zu laufen. Sie war wieder neun Jahre alt und mit der Straßenbande unterwegs, und einer von ihnen war in Schwierigkeiten geraten. Ob zu Recht oder zu Unrecht spielte keine Rolle.
    Wieder wurde die Tür zum Schankraum mit einem Knall aufgestoßen, aber Shaan sah nicht nach, wer im Eingang stand. Ein Mann brüllte. »Ein Dieb! Haltet den Dieb!«
    Einige Leute setzten sich in Bewegung, und aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie sich Balkis dem Jungen näherte. Sie suchte Tamlins Blick, sah rasch einmal kurz nach links und gab ihm dann das Zeichen, dass sich hinter ihr ein Ausgang befand. Diese Zeichen vergaß man nie.
    Sie torkelte auf ihn zu, als ob sie betrunken wäre. Für die anderen,
so hoffte sie, wirkte es, als versuche sie ungeschickt, den Dieb aufzuhalten. Tamlin stürzte in ihre Richtung. Als er sie erreicht hatte, tat sie so, als wolle sie nach ihm greifen, drehte sich jedoch im letzten Augenblick und warf sich scheinbar linkisch zu Boden, wobei sie einige Stühle in ihrer Nähe umtrat und Balkis so zum Stolpern brachte. Sie spielte ihre Rolle weiter, und es gelang ihr, den Verfolgern des Jugendlichen einen Tisch in den Weg zu schieben. Dann versuchte sie, sich zur Seite wegzurollen, während die Leute über die Möbelstücke stolperten oder sich gegenseitig aus dem Tritt brachten, aber sie war nicht schnell genug. Ein großer Körper landete auf ihr und drückte sie auf die harten Fliesen. Ihr Kopf prallte auf den Boden, und Lichter tanzten vor ihren Augen. Ein Stöhnen war zu hören, dann landete eine Hand neben ihrem Ohr. Ihre Rippen schmerzten, und als sie den Kopf drehte, konnte sie gerade noch sehen, wie Tamlin durch die Hintertür in die Dunkelheit hinausschlüpfte.
    Kurz verspürte sie ein triumphierendes Gefühl in sich aufflackern, doch es wurde von Traurigkeit abgelöst. Er war so ein gewitzter kleiner Junge gewesen. Es hätte einen anderen Weg für ihn geben müssen. Sie holte Luft und stellte erleichtert fest, dass das Gewicht auf ihr verschwunden war. Benommen sah sie empor und bemerkte einen schwarzgekleideten Mann, der zu ihr herunterschaute. Für die Dauer eines Herzschlages starrte sie ihn an, dann begriff sie, was er war: ein Jäger.
    Sie blinzelte. Sie hätte entsetzt sein sollen, aber der einzige Gedanke, der sich ihr aufdrängte, war, dass man einen Jäger doch wohl nicht aufhalten konnte, indem man sich ihm in den Weg warf. Sie lächelte, denn sie fand diese Vorstellung lustig, auch wenn ihre Rippen und ihr Gesicht schmerzten. Vielleicht war sie tatsächlich betrunken. Der Jäger packte sie am Arm und riss sie mit einer Hand auf die Beine. Alles Blut schien ihr ins Gesicht zu schießen, und der Raum verschwamm um sie herum.
    »Wie heißt du?«, fragte der Jäger langsam und bedächtig.
    Sie blinzelte erneut und versuchte, sich auf sein Gesicht zu konzentrieren und

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