Der Herr Der Drachen: Roman
»Ich habe nicht dazu geraten, einfach loszustürmen, sondern meine nur, dass wir darüber nachdenken sollten, ob es gut für uns sein könnte herauszufinden, was die anderen Clans wissen. Wenn die Tiere eine ganze Jagdgruppe der Raknah ausgelöscht haben, haben wir allen Grund, besorgt zu sein. Die Raknah sind üble Hunde, aber sie sind wilde, entschlossene Kämpfer.«
»Crull hat recht«, unterstützte ihn Nevan. »Wir können nicht einfach unsere Augen verschließen …«
»Ruhe!«, schnitt Karnit ihm das Wort ab. »Wir werden später entscheiden, was wir wegen der Zusammenkunft tun wollen, doch zuerst«, er deutete auf Tallis, »müssen wir diese Angelegenheit zu einem Ende bringen. Lasst uns abstimmen, denn deshalb sind wir hier zusammengetreten.« Er verschränkte die Arme und stand mit gespreizten Beinen vor dem Kreis. Dann ließ er auf jedem Einzelnen den Blick ruhen und fragte: »Was sagt ihr: Sollen wir diesen Mann ausstoßen?«
»Ich denke nicht, dass wir die Abstimmung in seiner Anwesenheit durchführen sollten«, sagte Miram. Langsam drehte Karnit sich zu ihr um.
»Wir werden es so machen, wie ich es für richtig halte.« Er sah ihr fest in die Augen. »Wenn er Freunde oder Feinde hat, dann sollte er sie kennen. Also, wie lautet euer Urteil?«
Miram presste ihre vollen Lippen aufeinander, dann sagte sie: »Nein. Ich sage nein. Er soll bleiben.«
»Das sage ich ebenfalls«, ergänzte Crull, und in seinem Blick lag etwas Herausforderndes.
»Ich stimme dafür.« Thadins Lippen kräuselten sich, als er zu Tallis schaute, und Karnit wandte sich an das jüngste Mitglied des Kreises, Nevan. Der dunkelhaarige Jäger schien besorgt.
»Mich beunruhigt, was wir da gerade gehört haben.« Er sah den Anführer an, während er sprach. »Aber ich werde mich trotzdem nicht dafür aussprechen, ihn auszustoßen. Es wurden Leben gerettet.«
Karnits Mund verhärtete sich zu einer dünnen Linie, als er sich zur Träumerin drehte.
»Shila? Was sagen dir die Führer?«
Die Träumerin sah zu Tallis, und ihre hellen Augen verrieten nichts. Unwillkürlich hielt Tallis den Atem an. Sein Schicksal lag in Shilas Händen. Daran, dass Karnit ihn ausstoßen würde, hatte er keinen Zweifel. Shila konnte das Blatt noch wenden. Aber würde sie das tun? Sie war die Träumerin des Clans, ihre Verbindung zu den Führern, und ihre Entscheidung würde von ihnen gelenkt sein. Würden die Führer jemanden begehren, der nicht
das Blut ihres Clans in sich trug? Er wartete, während sein Herz gegen seine Rippen hämmerte.
»Ich habe viele Dinge für diesen jungen Jäger vorausgesehen«, sagte Shila schließlich. »Viele Wege. Von diesem Kreis ausgestoßen zu werden, nun, das ist keiner davon. Entscheide du nach deinem eigenen Willen.« Mit diesen letzten Worten wandte sie sich an Karnit, und ein überwältigendes Gefühl der Erleichterung durchfuhr Tallis.
»So sei es«, knurrte der Anführer. Er sah Tallis an. »Du hast deine Antwort bekommen. Geh jetzt.« Seine Augen waren kalt, und trotz der Entscheidung des Kreises spürte Tallis, wie ihm ein Schauder über den Rücken lief. Karnit hatte ihn loswerden wollen. Wie lange würde es dauern, bis er seinen Willen bekam? Tallis stand auf, nickte, drehte sich um und stieg die Treppe empor. Er verließ die Höhle, um sich auf die Suche nach seiner Mutter zu machen.
12
E s war schon spät, als Shaan ins Gasthaus zurückkehrte. Tuon wartete in der Küche auf sie, aber sie stellte keine Fragen, und von sich aus eröffnete Shaan ebenfalls nicht das Gespräch. Die Ereignisse im Tempel standen unausgesprochen zwischen ihnen. Gemeinsam aßen sie etwas von der übrig gebliebenen Suppe und hörten zu, wie Torg die letzten Nachzügler aus der Bar warf. Seine laute Stimme übertönte das Protestgeschrei der Betrunkenen. Dann liefen die beiden hinauf, um ins Bett zu gehen.
Oben auf der Treppe drehte sich Tuon um und schlang stürmisch ihre Arme um Shaan. »Ich bin so froh, dass mit dir alles in Ordnung ist«, sagte sie. »Rorc ist ein guter Mann; er tut nur, was er tun muss.«
Shaan nickte, besorgt durch das, was sie da sah. War Tuon in den Kommandanten verliebt? Wenn ja, was würde sie dann alles für ihn tun? Was würde sie riskieren? Beim bloßen Gedanken daran wurde ihr kalt, und sie erwiderte innig die Umarmung. Schweren Herzens legte sie sich schlafen, und als die Träume kamen, waren sie voller Feuer und Tod, und eine Stimme rief ihr etwas zu. Die Worte klangen wie Krallen, die über
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