Der Herr der Finsternis
sah: »Da vorne! Der Stadtrand!«
3 Ein neuer Partner
D ie Stadt, in der Len wohnte, überraschte mich. Aus unerfindlichen Gründen war ich mir nämlich sicher gewesen, sie würde versteckt unter der Erde liegen und aus feuchten, engen Höhlen mit getarnten Eingängen bestehen, vor denen finstere Kerle mit riesigen Schwertern in der Hand Wache schieben. Stattdessen erreichten wir nach einem Fußmarsch von knapp einer Stunde eine ganz normale Stadt, die auf einem Hügel lag und sich in keiner Weise tarnte. Okay, es war mitten in der Nacht – mitten in jener grausam langen Nacht, wie sie hier ü b lich war. Vielleicht besaßen ihre Feinde ja nicht diese Brillen, mit d e nen man in der Dunkelheit sehen konnte. Aber was war tagsüber? O der flogen sie dann nicht? Waren sie nachtaktiv? Aber dann hätten sie uns in der Dunkelheit entdecken müssen …
All das ergab keinen Sinn. Bis zum Stadtrand trafen wir niemanden. Dann näherten sich uns jedoch zwei kräftige Jungen. Der eine trug eine Armbrust über der Schulter, der andere hatte ein langes Schwert an seinem Gürtel hängen. Gekleidet waren sie ziemlich normal: Hosen und Jacken, nicht dieser komische Flügeloverall von Len, der sich in ein Zelt verwandeln konnte. Neugierig musterten mich die beiden, schnaubten und starrten dann Len an. Der blickte sofort weg, wurde nervös und wich mir nicht von der Seite.
»Hallo«, meinte der mit der Armbrust so nachdenklich, als überlege er noch, ob er mich überhaupt ansprechen solle.
»Guten Tag, Shoky«, sagte Len schnell. »Wie sieht ’ s in der Stadt aus?«
»Ruhig. Wo ist dein Senior?«
»Die Freiflieger haben uns erwischt«, antwortete Len. »Wir haben uns tapfer geschlagen, aber sie haben uns überwältigt. Als sie uns in ihren Turm geschleppt haben, hat Kurt mich losgeschickt, um Hilfe zu holen. Er selbst wollte die Freiflieger ablenken … «
»Und warum nicht anders herum, Len? Warum hast du sie nicht a b gelenkt, damit Kurt Hilfe holen konnte?«
»Er fliegt doch schon nicht mehr so gut!«, verteidigte sich Len. »Ihr wisst selbst, wie schwer er ist! Kurt wusste, dass er es nicht schaffen würde, deshalb hat er mir befohlen … «
»Ich habe Kurt gewarnt, dass er mit dieser Rotznase noch sein bla u es Wunder erleben würde«, mischte sich der Junge mit dem Schwert ein. »In welchem Turm hast du ihn sitzen lassen?«
»Ich habe ihn nicht sitzen lassen!«
»Wo ist Kurt?«
»Im Runden Turm am Ostkamm. Da, wo … «
»Den kenn ich. Inzwischen dürfte es zu spät sein, um Kurt zu befre i en. Er ist schon zu lange in deren Gewalt. Und wen schleppst du da an?«
Jetzt platzte mir der Kragen. Die oberen Klassen bei uns in der Sch u le sind voll mit Idioten wie diesen beiden. Wenn du denen nicht sofort Kontra gibst, machen sie mit dir, was sie wollen.
»Riskier nicht so eine große Lippe, du Blödmann!«, rief ich. »Und hör auf, auf Len rumzuhacken! Außerdem könnte dein Hirn absaufen, wenn du es mit zu viel Infos fütterst!«
Die beiden erstarrten. Schließlich baute sich Shoky vor mir auf. »Wer ist dein Senior, Kleiner?«, zischte er. »Und wie viel bist du ihm wert? Wie viel knöpft er mir als Strafe ab, wenn ich dich kaltmache?«
»Er kommt aus einer anderen Stadt«, erklärte Len schnell. »Seine Leute sind alle tot. Ich habe ihm versprochen, ihn zu beschützen!«
»Wenn du es versprochen hast, dann werden wir ihn natürlich nicht umbringen«, sagte Shoky grinsend. »Wozu er uns nützen soll, ist mir allerdings schleierhaft. Einer, der es fertigbringt, nicht nur seinen S e nior zu verlieren, sondern auch noch seine Waffe und seine Flügel. Oder sehe ich das falsch?«
»Er war selbst der Senior in seinem Team«, informierte Len ihn le i se. Das erstaunte die beiden anderen nun wirklich.
Derjenige, dessen Namen ich noch nicht kannte, wandte sich an mich: »Stimmt das, was Len sagt? Antworte!«
Anscheinend traute mir niemand eine Lüge zu. Umso besser.
»Len sagt die Wahrheit. Ich war der Senior in unserem Team und bin als Einziger übrig geblieben.« Da die beiden nichts darauf erw i derten, beschloss ich, den Erfolg auszubauen. »Was die Waffe und die Flügel angeht … Wenn ihr an meiner Stelle gewesen wäret, hättet ihr euch vor Angst in die Hose gemacht, darauf könnt ihr aber wetten.«
Sie brachten keinen Ton hervor. Und sie machten keine Anstalten, meine Lüge aufzudecken. »Aus welcher Stadt bist du denn, Senior, der hier um Schutz gebeten hat?«, fragte Shoky, und zwar ohne jedes
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