Der Herr der Finsternis
Hände, und Licht blendete mich, das noch dazu von allen Seiten zugleich kam!
Mit geschlossenen Augen kämpfte ich in den nächsten Minuten g e gen den unangenehmen Eindruck an, gemustert zu werden. Schlie ß lich riskierte ich es, ein Auge zu öffnen. Blinzelnd sah ich mich um.
Ich saß wirklich in einem kleinen, runden Zelt. Seine Innenseite war schneeweiß und leuchtete schwach.
Vor mir hockte ein Junge in meinem Alter. Er war mager und hatte blonde Haare. Außerdem war er extrem blass, was mich allerdings überhaupt nicht wunderte. Er trug nur kurze, weiche Shorts aus grel l blauem Wollstoff. An einem breiten Ledergürtel hing eine Scheide mit einem langen, dünnen Schwert.
Nach und nach legte sich meine Angst. Irgendwie hatte ich damit gerechnet, einen erwachsenen Kerl mit fieser Visage vor mir zu h a ben, nicht aber einen Jungen in meinem Alter.
»Ich kenne dich gar nicht«, meinte der Junge misstrauisch.
»Ich dich auch nicht«, sagte ich. Im Zelt war es warm und hell. Die Wesen der Finsternis kamen mir jetzt wie ein wilder Traum vor. Angst hatte ich absolut keine mehr.
Der Junge setzte das Verhör fort. »Woher kommst du?« Seine Hand lag auf dem Schwert, als wolle er es gleich ziehen und sich in den Kampf stürzen.
»Von weit her«, erklärte ich ehrlich – ohne damit die geringste I n formation preiszugeben.
Trotzdem akzeptierte der Junge die Antwort. Er ließ aber noch nicht locker. »Wo sind deine Eltern? Wo sind deine Freunde?«
»Dort, wo es Licht gibt.« Aus purer Gemeinheit beschloss ich, me i ne Antworten so mysteriös wie möglich zu halten.
»Tut mir leid«, murmelte der Junge betroffen. »Meine sind … ach egal. Bist du ganz allein?«
Die Wahrheit ist im Grunde ungeheuer bequem, man braucht gar nicht zu lügen. Am Ende hört eh jeder, was er hören will.
»Ich war mit einem Freund unterwegs, aber der ist los, um Licht zu suchen.«
Ich hoffte, nach dieser Auskunft würden mir sämtliche Fragen nach meinem Freund erspart bleiben. Die Rechnung ging auf. Der Junge schniefte bloß und streckte mir die Hand entgegen.
»Len.«
»Danka.« Ich gab ihm die Hand.
»Ich war auch mit einem Freund unterwegs«, sagte er. »Aber er hat es nicht geschafft, aus dem Turm zu entkommen. Er war mein Sen i or.«
»Also mein Freund, das war mein Junior«, sagte ich aufs Gerat e wohl.
»Tatsächlich?« Ihm war seine Verblüffung deutlich anzumerken. »Was hast du jetzt vor?«
»Von hier verschwinden.«
»Willst du mit in unsere Stadt?«
Warum eigentlich nicht? Die Wärme in diesem Zelt lullte mich langsam ein. Ich musste aufpassen, bei unserer Unterhaltung nicht den Faden zu verlieren. Was sollte ich hier nackt in den Bergen sitzen und auf den Sonnenkater warten, der vielleicht gar nicht wiederkam? Da war es doch besser, mich auf den Weg in die Zivilisation zu machen …
»Werde ich da keine Schwierigkeiten bekommen?«, erkundigte ich mich zaghaft.
»Du kannst Fragen stellen!«, sagte Len. »Wenn ich für dich bürge, gibt ’ s keine Probleme! Und das sage ich nicht bloß so dahin!«
»Ich glaub dir ja«, versicherte ich matt. »Kann ich vielleicht vorher noch etwas schlafen, Len?«
»Ich bin aber auch ein Idiot!« Len sprang hoch und kramte in einer kleinen Tasche herum. »Du hast bestimmt Hunger, oder? Viel hab ich leider nicht … «
Kurz darauf machte ich mich über etwas Zähes her, vielleicht gerä u chertes, vielleicht aber auch nur vertrocknetes Fleisch. Als ich es ve r tilgt hatte, hielt mir Len noch eine Handvoll Datteln oder etwas, das fast genauso aussah, und eine Flasche hin.
»Und du?«, protestierte ich schwach, während ich mich bereits auf die Datteln stürzte.
»Wenn wir zusammen zurückgehen, bist du doch der Senior«, e r klärte Len. »Davon abgesehen habe ich heute schon was gegessen.«
Vielleicht war das nicht besonders fair – aber ich widersprach ihm nicht. Ich trank die Flasche mit dicker, süßer Milch leer (sie schmec k te wie leicht verdünnte, gesüßte Kondensmilch) und linste dann zu Len rüber. Er hatte inzwischen eine kurze Decke auf dem Boden au s gerollt.
»Schlaf jetzt, dann sehen wir weiter«, schlug Len vor, der mich fast auf die Decke schubste. »Na komm, leg dich hin.«
Er verhielt sich wirklich merkwürdig. Einerseits so, als sähe er in mir tatsächlich den Anführer, den er bedienen musste wie … wie ein Soldat seinen Oberst. Andererseits verhätschelte er mich, als wäre ich ein Baby.
Gründlich darüber nachdenken konnte ich aber nicht
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