Der Herr der Finsternis
einen Albtraum gehabt. Doch der scharfe Geruch hing noch immer in der Luft, und an der Stelle, wo die beiden gestanden hatten, ertastete ich herausgerissene Grasbüschel.
Auf keinen Fall wollte ich die Rückkehr derjenigen abwarten, die hier das Gras samt Wurzeln herausgerissen hatten. Noch weniger Wert legte ich darauf, dieses Schwarze Feuer kennenzulernen – was auch immer sich dahinter verbergen mochte.
Als ich aufstand, schien sich alles um mich herum zu einem Käfig aus Dunkelheit und Angst zusammenzuziehen. Ach, Kater, Kater! Hast du wirklich nicht gewusst, wohin uns diese Verborgene Tür führt?
»Ich habe keine Angst«, verkündete ich laut. Die Dunkelheit antwo r tete mir nicht. »Ich bin schon groß. Ich klettere jetzt auf die Felsen, so hoch sind die hier ja nicht.«
Die Dunkelheit schwieg.
Mit vorgestreckten Armen stapfte ich am Bach entlang. Die Finste r nis folgte mir. Es ging recht steil aufwärts. Aber weil das Wasser kein Geräusch machte wie bei einem Wasserfall, konnte die Felswand wohl kaum senkrecht sein. Mein sechster Sinn sagte mir, ich solle neben dem Wasser hochkraxeln, damit sein leises Rauschen meine Bew e gungen übertönte.
Als ich über den Stein tastete, fand ich einen lächerlich schmalen Vorsprung, auf den ich trotzdem raufkletterte. Dann kam der zweite. Ich hielt mich an einem Strauch fest, der zum Glück nicht pikte, und bewältigte den nächsten Meter. Alles in allem ließ sich die Sache ganz gut an, vor allem weil ich gar keine Vorstellung hatte, wie hoch ich eigentlich war.
»Ich falle nicht«, flüsterte ich wem auch immer zu. »Hört ihr mich? Ich falle nicht. Wo hätte es denn so was schon gegeben – dass man in eine Zauberwelt gerät und dort dann gleich von einem Berg abstürzt!«
Unter meinem Fuß gab ein Stein nach. Mir stockte der Atem. Von da an bewegte ich mich lieber schweigend weiter. Als ich mir nach zehn Minuten mit der Hand über den Mund fuhr, schmeckte ich Blut. Ich hatte mir die Finger am Fels aufgeschürft. Meine nackten Füße vermutlich auch, aber ich spürte keinen Schmerz. Und da ich nicht wie eine Kakerlake an einer Mauer hängen konnte, musste ich die Felswand ja sowieso weiter erklimmen.
Nach fünf Minuten war ich am Ende meiner Kräfte und wusste, dass ich früher oder später abstürzen würde. Genau in dem Moment g e langte ich zu einem kleinen Vorsprung. Ich presste mich fest gegen den Stein, setzte mich hin und ließ die Beine in der Finsternis ba u meln. Wie hoch ich wohl geklettert war? Fünf Meter? Oder zehn? Na ja, garantiert nicht weit genug, um mich vor dem mysteriösen Feuer dieser fliegenden Kreaturen in Sicherheit zu bringen.
Ich zog mein Unterhemd aus und presste es mir nacheinander auf Hände und Füße und wartete jeweils ein paar Minuten, bis kein Blut mehr floss. Durch den Anstieg war ich ins Schwitzen geraten, die Kä l te spürte ich jetzt nicht mehr. Ich ließ das zerrissene und feuchte U n terhemd auf dem Felsabsatz liegen und setzte den ersten Gipfelsturm meines Lebens fort. An dem rauschenden Wasser links von mir orie n tierte ich mich. Einmal verirrte ich mich an eine Stelle, wo mir bereits Spritzer auf den Kopf prasselten. Als ich spürte, wie glitschig die Fe l sen hier waren, versuchte ich vorsichtig, wieder nach rechts zu ko m men. Sobald ich einen sicheren Vorsprung fand, machte ich jedes Mal eine kurze Pause, danach kletterte ich weiter. Die Finsternis kroch mir nach, verbarg die Höhe vor mir und verschlang die Zeit. Vielleicht dauerte der Anstieg eine halbe Stunde, vielleicht zog er sich auch ein paar Stunden hin, keine Ahnung. Das Einzige, was ich mit Sicherheit wusste, war, dass ich noch nie so müde gewesen war.
Plötzlich hörte ich Flügelschläge. Die beiden Wesen der Finsternis schwebten fast auf meiner Höhe. An die Felswand gepresst, vernahm ich ein pfeifendes Flüstern: »Gieß es aus!«
Sehen konnte ich nichts, nur ein Knistern hörte ich, das klang, als würden im ganzen Tal trockene Äste knacken. Irgendwann zischte das Wasser im Bach. Heiße, glühende Luft schlug in die Höhe.
Die Felsen unter mir fingen in null Komma nichts an zu glühen. In der sengenden Hitze bekam ich kaum noch Luft. Aus dem Tal zog Wind herauf und zerzauste meine Haare. Irgendwann merkte ich s o gar, wie der Schorf an meinen Füßen abbröckelte.
Alles hörte genauso abrupt auf, wie es angefangen hatte. Die Flüge l geräusche verschwanden, die Temperatur fiel wieder. Ich klebte an der Felswand und brach quasi
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