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Der Herr der Finsternis

Der Herr der Finsternis

Titel: Der Herr der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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ein anderes Haus herzumachen. Nach und nach stellten die Leute den Versuch ein und starrten schweigend auf die dem Untergang geweihten Häuser.
    »Man muss das Feuer mit Sand löschen!«, rief ich, ohne mich an jemand Speziellen zu wenden.
    »In der Nähe gibt es aber keinen Sand, Danka.« Gert legte mir seine Hand auf die Schulter. Er atmete schwer, anscheinend war er den ga n zen Weg hierhergerannt. »Niemand hatte mit diesem Angriff gerec h net … «
    Die Häuser brannten. Wie in Zeitlupe brachen die Fensterläden ab, lautlos und irgendwie widerwillig zersprangen die Scheiben. Das He u len des Feuers veränderte sich, die Flammen eroberten die Gebäude und fielen in ungezügelter Zerstörungswut über die Zimmer her.
    »Konnten alle aus den Häusern fliehen?«, fragte Gert.
    Ich wusste es nicht. Vermutlich schon. Sonst würden die Leute doch wohl nicht so ruhig herumstehen.
    In diesem Moment flogen die Fensterläden im ersten Stock eines der brennenden Häuser auf, zusammen mit den Fensterflügeln. Das Zi m mer dahinter brannte lichterloh. Die Silhouette des kleinen Jungen am Fenster wirkte fast wie ein Scherenschnitt. Er kletterte aufs Fenste r brett und blieb dort wie angewurzelt stehen. Unter ihm klaffte ein A b grund von rund vier Metern, lag das Kopfsteinpflaster, auf dem das Schwarze Feuer tobte.
    Die Menge verstummte. Mit einem Mal machte es bei mir klick: Die Umstehenden wussten ganz genau, dass nicht alle Leute aus dem Haus herausgekommen waren.
    Neben mir seufzte Gert schwer. Er ließ meine Schulter wieder los.
    Der Junge rührte sich immer noch nicht. Jeder Flügelträger, selbst der unerfahrenste Junior, wäre gesprungen. Das war doch immerhin eine Chance, wenn auch nur eine winzige!
    Aber der Junge war höchstens sieben. Er hatte seine Höhenangst noch nicht verloren.
    Gert sah mich hilflos an – genauer gesagt, gar nicht mich, sondern meine Flügel, die an meinen Schultern herabhingen. Begriff er denn nicht? Ich konnte nicht zu dem Jungen hinfliegen und ihn im Supe r man- Stil vom Fensterbrett angeln! Die Flammen würden mich erfa s sen, würden den dünnen Stoff der Flügel verschlingen und mich durchs Fenster saugen wie eine Turbine!
    Doch, er begriff. Und stürzte daraufhin selbst zum Haus, sprang ei n fach durch die Pfützen aus brennenden Steinen und lief Zickzack! Seine hagere Figur wirkte bei dieser Akrobatik so k o misch, dass ich beinahe gelacht hätte.
    Was war bloß in mich gefahren?
    »Spring!« Ich ahnte Gerts Schrei eher, als dass ich ihn hörte. Er stand unter dem offenen Fenster, die Hände ausgestreckt. Die Fla m men krochen schon an seinen Beinen hoch. Die Hosen fingen an zu rauchen. »Spring!«
    Der Junge wollte schon einen Schritt nach vorn machen, zögerte dann aber doch. Gert wartete ungerührt ab, als ob er den Schmerz gar nicht spürte.
    Alles hat seinen Preis. Gert musste für sein Ja zur Zerstörung der Stadt bezahlen. Und mir war klar, wie die Rechnung aussah, die er am Ende präsentiert bekam.
    Len und ich dürften den gleichen Preis zu zahlen haben.
    Schließlich sprang der Junge. Genau in dem Moment, als das G e bäude vom Schwarzen Feuer verschlungen wurde und einstürzte. Es krachte genau auf die Stelle, wo Gert in den Flammen stand.
    Die Menge wich zurück. Von den Trümmern sprühten Funken in a l le Richtungen. Beißender Rauch hüllte alles ein, Hitzewellen wogten durch die Luft. Ich war als Einziger am Grab von Gert übrig gebli e ben. Nein, nicht als Einziger …
    Len stand neben mir, ich hatte bloß nicht bemerkt, wie er gekommen war. Über das Gesicht meines Juniors rollten Tränen.
    »Sag doch was … «, bat ich.
    Ganz langsam drehte Len mir den Kopf zu. »Das ist meine Schuld, oder, Danka? Gert ist gestorben, weil ich … «
    »Nein!«, widersprach ich. Ich packte ihn am Ärmel und zog ihn vom Feuer weg. »Das ist Schicksal. Dich trifft keine Schuld, Junior.«
    Eine Hand schlug mir mit aller Wucht gegen die Brust. Keine A h nung, ob mich dieser Jemand nur aufhalten oder ob er mich umwerfen wollte. Ich hob den Kopf. Shoky.
    »Wie ihr es prophezeit habt!«, presste er mit tonloser Stimme he r aus. Sein Gesicht war schwarz vom Ruß. Ohne Frage war er über den brennenden Häuser gekreist.
    »Ja«, erwiderte ich. »Aber du wolltest uns ja nicht glauben … «
    »Das tue ich auch jetzt nicht.« Shoky hob langsam die Hände und fuhr sich übers Gesicht, um den Ruß wegzuwischen. Doch die Spuren, die seine Finger im Gesicht hinterließen, wirkten nur noch

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