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Der Herr der Finsternis

Der Herr der Finsternis

Titel: Der Herr der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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schwärzer. »Das ist eine Provokation.«
    Es klang, als wollte er sich mit seinen Worten selbst überzeugen.
    »Der Krieg hat angefangen«, hielt ich ihm entgegen.
    »Nein«, sagte Shoky. »Darauf fallen wir nicht rein. Wir werden nicht angreifen!«
    Etwas in mir drinnen zerbrach. Sollte alles umsonst gewesen sein? Selbst Gerts Tod? War das der Preis, den Len und ich zahlen mussten?
    »Du bist immer bereit, allen zu verzeihen, Shoky«, mischte sich da mein Junior ein. »Gert ist in den Flammen umgekommen – ist dir das denn völlig egal?«
    »Gert?« Shokys Gesicht zuckte krampfhaft. Dass jemand aus seiner Familie dem Feuer zum Opfer gefallen war, würde ihn vielleicht von seiner Haltung abbringen.
    »Die Freiflieger haben die Stadt angezündet«, fuhr Len fort. »Willst du ihnen das durchgehen lassen?«
    Wie brachte er das fertig? Wie konnte er die Freiflieger für das ve r antwortlich machen, was er selbst vor einer halben Stunde angerichtet hatte? Wie konnte Len Gerts Tod als Trumpf ausspielen, wo seine Tränen noch nicht mal getrocknet waren?
    »Halt den Mund!«, schrie Shoky. »Dieser Text stammt doch von Danka! Wir ziehen nicht in den Krieg! Diesen Überfall habt ihr „ pr o voziert!«
    Ich sah mich um. Ein Ring von Flügelträgern, Erwachsenen und Mädchen hatte sich um uns gebildet. Alle hatten sie überstürzt i r gendwas angezogen, waren verwirrt und begriffen nicht, worum es eigentlich ging.
    »Und wer ist für deinen Text verantwortlich, Shoky?«, flüsterte ich.
    »Ich selbst.«
    »Dann übernimm auch die Verantwortung!« Ich spürte, wie die bis eben leere Scheide plötzlich schwer am Gürtel hing. »Wenn du die Flügelträger nicht in den Krieg führst, werden wir uns einen anderen Anführer suchen.«
    Jetzt kam es darauf an, dass die Flügelträger sich gegen Shoky stel l ten, nicht etwa gegen mich.
    »Willst du ein Duell?«, fragte Shoky.
    »Ich will den Krieg gegen die Freiflieger.«
    »Den wird es nicht geben.«
    »Dann will ich ein Duell!«
    Mit einer geschmeidigen und eleganten Bewegung zog Shoky sein Schwert. Die Menge vergrößerte sofort den Kreis um uns. »Wir tragen es auf dem Boden aus«, erklärte Shoky. »Ohne Flügel.«
    In der Luft hätte er kaum Chancen gegen mich gehabt. Umgekehrt galt das auf dem Boden für mich. Shoky war älter als ich, erfahrener und kräftiger.
    »Soll mir recht sein.« Ich tastete nach dem Wahren Schwert. War Shoky mein Wahrer Feind? Er hatte mir die Augen ausgestochen, sperrte sich gegen unseren Plan …
    Andererseits versuchte er bloß, seine Stadt zu retten.
    Deshalb zog ich das Schwert des Tuak und sah Shoky mit dem Wa h ren Blick an.
    Shoky wollte sterben.
    Das überraschte mich dermaßen, dass ich erstarrte und das Schwert losließ. Auf Shokys Gesicht lag eine Müdigkeit, als wäre er nicht zwanzig, sondern vierzig. Er glaubte weder an das Licht noch an die Finsternis. Selbst an das kleine Haus unter einer fremden Sonne glau b te er nicht mehr, im Unterschied zu allen anderen Senioren.
    Der Angriff auf die Stadt hatte Shoky den Rest gegeben. Er wollte keine Entscheidungen mehr treffen, er wollte nur noch sterben.
    Sein erster Ausfall war ein Schlag mit nur halber Kraft, den ich problemlos parierte.
    Wir umkreisten einander, die Schwerter gezückt, die Wand aus Menschen zögerte kurz, bevor sie sich ausdehnte, um uns Platz zu machen. Niemand dachte mehr an die vor sich hinbrennenden Gebä u de, die nun schlagartig zur Dekoration für das Duell mutiert waren.
    »Shoky«, flüsterte ich, »wir können gewinnen. Zusammen können wir gewinnen … «
    Der Schlag war eher schön anzusehen als wirkungsvoll, ein schwungvoller Hieb Richtung Hals. Ich brauchte mich bloß zu ducken und das Schwert über meinem Kopf wegzischen zu lassen.
    »Ich werde dich nicht angreifen, Shoky. Lass uns über alles red … «
    Die Schwerter heulten erbärmlich auf, als sie gegeneinander sche p perten. Jetzt machte Shoky Ernst, und nur der Wahre Blick half mir, seine Schläge im Voraus zu erkennen und abzuwehren.
    »Shoky, wenn du mich umbringst … «
    Schlag, Sprung und Abwehr.
    » … oder ich dich, dann wäre Gert ganz umsonst gestorben … «
    Waren mir die Worte also doch über die Lippen gekommen.
    »Mein Großvater hat seit geraumer Zeit an Altersschwachsinn geli t ten.« Shokys Bewegungen wurden nun wieder etwas langsamer. »Wir haben keine Chance, Danka.«
    Dann kam der nächste Angriff, so schnell und genau, dass ich nicht mehr reagieren konnte. Klirrend landete die

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