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Der Herr der Ohrringe (German Edition)

Der Herr der Ohrringe (German Edition)

Titel: Der Herr der Ohrringe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myk Jung
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Dösköppe länger hinschauten, erschien es ihnen sogar bleich. Nicht wie das Licht des Mondes war es, wie vor undenklichen Zeiten – höchstens wie das Licht eines an lang anhaltendem Durchfall siechenden Mondes. Die höchste Stufe des Turms drehte sich, hypnotisch langsam, erst zu einer Seite, und dann zur anderen, wie um in die Nacht zu spähen, und augenförmige Fenster waren in ihm, dahinter nur schwarzes Nichts lauerte.
    Da zitterte Frohdoof und quetschte sich an den Felsen, Samenweis aber legte die Hände wie einen Trichter an den Mund und rief: »Hallo! Jemand da?«
    Guelle fand das nicht so gut, das mit dem Rufen, und fügte dem armen Hobbknick von der Seite Ungemach zu, dass der Ruhe gab. Lange Augenblicke verstrichen, doch nichts regte sich in dem leichenfahlen Turm, und sie atmeten auf.
    Und sie liefen weiter, in die Nacht, über eine schwach schimmernde Straße, bis sie zu der Brücke kamen. Die Brücke führte über einen vollkommen vergifteten Bach, und deswegen dampfte der ja auch so! Kalte Schwaden stiegen von seiner Oberfläche auf, und an seinen Ufern waren nachtmahrische Wiesengründe, die sich in lästerlicher Feuchtigkeit darboten. Blasse, krank aussehende Blumen wuchsen dort, schön, jedoch mit schrecklich verzerrten Stimmen, die nun wie im Wahntraum zu ihnen sprachen: »Kommt doch, und spielt für immer im Wiesengrund!«
    Frohdoof wollte schon hineinspringen in die feuchten Wiesen, und sein Kopf kollerte derweil verdächtig nach links und rechts, aber Samenweis hielt ihn fest und flüsterte: »Herr, wenn ich für immer zwischen den Blumen spielen müsste, würde mir langweilig!«
    Da kam Frohdoof rechtzeitig zur Besinnung, und ihm fiel ein, dass er es bestimmt auch langweilig fände, und er ließ sich von Guelle ein Stückchen weiterziehen, weg von der Brücke, weg von den Blumen, auf einen dunklen Pfad, der sich ins Gebirge hochzog und dabei beruhigenderweise so gut wie keine Geräusche von sich gab.
    So krochen sie, im Dunkeln und langsam, dem Geisterpass entgegen, und immer noch drehte sich der unheimliche bleiche Turm, als hätte er einen eigenen Willen. Den hatte er wohl auch, wie sich allzu rasch herausstellte: denn plötzlich, nach Zeitaltern des eintönigen Drehens, und seltsamerweise genau in jenem Augenblick, da die Gefährten vorbeischlichen, worin manche der Weisen den Einfluss einer Macht sahen, die sich nicht weiter mit Namen belegen ließ, ward der Turm des unentwegten Rotierens müde, und er kam auf die Idee, ein bisschen zu wippen und zu wackeln und sich nach vorn zu beugen, augenscheinlich nur, um der Langeweile zu entfliehen, wie die Gelehrten vermuten. Aber darin war er nicht geübt, und mit einem Getöse fiel er um. Es stoben die Ohrringgespenster erschreckt in den Nachthimmel, und daran konnten die Dösköppe sehen, dass die Nazgulashs tatsächlich drin gehockt hatten! Zum Glück aber waren die Gespenster viel zu aufgeregt, um die Drei Wanderer zu bemerken. Hoch in die verpesteten Lüfte schwangen sie sich, ganz so, als würde ihnen das was bringen.
    Frohdoof, Samenweis und Guelle jedoch kletterten weiter über die dunklen Bergflanken, und später über die Hügelschenkel, und dann standen sie vor dem Vermaledeiten Treppenhaus: der Langen, später Gewundenen Treppe, und die stiegen sie hoch, um an jedem Absatz geschmacklose Topfpflanzen vorzufinden. Auch standen da, als wären sie Bestandteile einer alptraumhaften Dekoration, frevelhafte Statuetten, Abbilder von rotzenden Nazgulashs und unflätigen Knorks; und einmal sahen sie eine Figur mit einem rotorangenen Auge, und sie erschraken.
    Irgendwann, in jener schier nicht enden wollenden Nacht – aber vielleicht war es auch schon wieder eine weitere, darauffolgende, in einer Kette von Dunkelheit ohne Hoffnung und ohne Sex – erreichten sie das Ende der Treppe, aber noch nicht ganz das Ende von Mühsal und Ärger. Denn jenseits einer langgezogenen Schlucht, unter überhängenden Felswänden, sahen sie den Eingang zu einer Höhle, und dummerweise bestand Guelle darauf, dort hineinzugehen.
    »Is’ der einzige Weg«, grummelte er. »O ja, ja. Einziger Weg, euch loszuwerden und Schätzken zu bekommen. Hier lauert Sie, um euch zu fressen, oh ja, ja. Schätzken.«
    Wieder waren die zwei Dösköppe aufgeschreckt durch die seltsame Wortwahl; aber da sie sich nicht denken konnten, was wohl gemeint war, ließen sie es sein, sich weiter Gedanken zu machen. Jedoch brauchten sie ein langes Päuschen, um sich vom Schrecken zu erholen.

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