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Der Herr der Ohrringe (German Edition)

Der Herr der Ohrringe (German Edition)

Titel: Der Herr der Ohrringe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myk Jung
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aufzubürden beschlossen.
    Ein jeder rätselte zu dieser frühen Stunde schweigend und für sich, wie der Anführerposten zu erheischen wäre. Die Pforte, nach der sie suchten, kam ihnen unterdessen nicht in den Blick.
    Der Bote aber meinte urplötzlich, sich daran erinnern zu können, immer in Richtung Nord-West gegangen zu sein: also wandten sie sich den Horizonten im Nordwesten zu, bis ihnen, viel später, klar wurde, dass sie exakt den falschen Kurs erwählt hatten.
    »Wenn er Richtung Nord-West wanderte, dann kam er von Süd-Ost!«, fiel nämlich irgendwann Ganzhalb ein. »Und dorthin müssen wir uns wenden!« Die anderen staunten über Ganzhalbs Pfiffigkeit – bis sie erkannten, dass der Zauberer nur deswegen Anführerqualitäten offenbaren konnte, weil sie selber dauernd zu faul zum Denken waren. Manch einer der Freunde nahm sich nun vor, aus der Situation zu lernen und ein anderer zu werden. Doch solcherlei haben sich schon viele vorgenommen seit Anbeginn aller Tage, und keiner ist je ein anderer geworden. Erst recht nicht frühmorgens. Marathorn wäre gern Legospass geworden, so viel darf hier verraten werden, aber auch daraus wurde nichts.
    So wandten sie sich um und rannten in die entgegengesetzte Richtung, wobei Pymli über Bartspitzen stolperte, die sich bei haargenauer Inspektion als seine eigenen herausstellten. Doch weiterhin sahen sie nichts, was ihnen weiterhalf, Zeichen zum Beispiel, oder Wegbeschreibungen, die in Baumrinden geritzt waren. Und es lösten verblüffend farblose Sonnenauf- und untergänge einander ab, doch den Gefährten gelang es nicht, sich durch dieses Naturwunder von ihrer Mission ablenken zu lassen.
    Und eines Abends kreuzte sich ihr Wanderweg mit dem jenes Guelle, davon die Rede war. Ihr Vorbeikommen war ein Ansporn für den Zwielichtigen, ihnen klammheimlich zu folgen. Nicht ein einziges Mal in den darauffolgenden Tagen bemerkten die Wandernden ihren Verfolger, obgleich sie sich umguckten.
    »Nun nähern wir uns dem Land von Roh-Hahn!«, murmelte Marathorn an einem grauen Mittag. »In meiner Jugend war ich schon einmal hier. Linkerhand übrigens sehen wir die Hellen Berge.«
    »Wenn du uns nun mit Geschichten aus deiner Jugend zu langweilen suchst, dann erzähl ich ein bisschen was aus meiner Jugend!«, drohte Legospass, und da fiel den anderen ein, dass der Waldalberne unsterblich war, und dass sie Kinder in seinen Augen sein müssten, und dass seine Erzählungen sich als langwierig und ermüdend entpuppen könnten. Sie fühlten die Müdigkeit der Sterblichen und waren froh, dass der Dauerläufer nun keine Jugendgeschichten erzählte.
    In den Schatten der Hellen Berge aber fanden sie ein Skelett, das ihnen mit weit ausgestrecktem Mittelfinger einen Weg wies. Es ergab sich eine lange Diskussion, ob sie es nicht lieber mit der genau entgegengesetzten Richtung versuchen sollten. Letztendlich aber folgten sie dem Fingerzeig; als sich jedoch auch in dieser Richtung nichts ergab, was ihre Entscheidung gerechtfertigt hätte, bekamen sie Zweifel. Und Macho sagte: »So müssen Helden doch handeln, oder nicht? Sie treffen Entscheidungen, die zweifelhaft wirken mögen – und diejenigen, die dem Zweifel erliegen, womöglich umkehren, sind am Ende die elenvahr , richtig? So ist es doch meistens?« Er suchte sich wohl zu beruhigen.
    Unverhofft taten sich vor ihnen, am Fuße von Abhängen, die einen surreal wirkenden Neigungsgrad aufwiesen, die sagenhaften Höhlen von Vagabond auf, und mitten drin glühte es, ganz genau wie von einem gleißenden Tor!
    »Da dräut sie, die Pforte!«, rief Ganzhalb und schwang sein Wasserschwert, vielleicht um heroisch gestizukulieren.
    »Was heißt dräuen eigentlich?«, fragte Samenweis. »Das Wort kommt andauernd in unseren Geschichten vor, und meistens ärger’ ich mich darüber, weil ich’s ja nicht kenn’.«
    Keiner fand Zeit, ihm zu antworten, selbst die nicht, die den Begriff kannten, denn allen stockte der Atem, als sie die schillernden Höhlenhallen betraten. Es funkelte von Diamantenstaub, beleuchtet von einem gleißenden Lichtbogen, der hallenmittig harrte. Sie hatten das sagenhafte Dimensionstor erreicht! Und der Sendbote sprach: »Ja. Das ist sie.«
    Pymli schaute sich schnaubend um, der unterirdischen Felsenpracht gewahr werdend. »Mayne Vraessae!«, stöhnte er, um sich dann mit einem Seitenblick auf Legospass zu korrigieren: »Ich meinte: Du meine Güte! Schauet die Stakkaliken und Stagnamiten! Was für eine Pracht! Ein Gesang sollte

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