Der Herr der Ohrringe (German Edition)

Nebelvorhang verborgen. »Ihr habt da vorhin ein unangenehmes Getöse von euch gegeben, ihr, die ihr einen weiten Weg gekommen seid! Ich ahne, dass ihr Rat und Hilfe sucht – ach, wie immer, wenn hier jemand vorbeikommt. An Weiterschlafen war nicht mehr zu denken. Also, zur Belohnung für dieses unerträgliche Gebaren bekommt ihr nun eine richtige Ratsversammlung! Und das habt ihr nun davon!«
    Woher der Halb-Alberne nur gewusst hatte, dass sie allesamt Ratschläge und Hilfestellungen suchten, fragte sich manch einer der Weitgereisten. Indes war es des Verwunderns nicht wert, denn dies war Allrounds persönlicher Fluch, unter den er gefallen war seit Anbeginn des Drittletzten Zeitalters: dass ihn allezeit Umratundbeistandflehende heimsuchen mussten. Und dass unter denen niemals eine junge Fee sein sollte, Beischlaf suchend. Außerdem hatten die Wanderer ihre Hilferufe schon unter den Fenstern lauthals skandiert.

Zweiundzwanzigstes Kapitel:
Die Ratsversammlung von Duchfal
    Allround führte die Weitgewanderten durch ein im tythantythischen Stil gemeißeltes Tor in die grynaeyedtinisch ausgekleideten Gänge und schließlich zum Großen Tisch der Beratungshalle. Dort setzte er sich an dessen Stirnseite, über die der Tisch seiner Rundheit zum Trotze verfügte, was diejenigen, denen die Gunst geschenkt war, sich noch über irgendetwas verwundern zu können, bemerkenswert fanden. Da saß der Halb-Alberne auf seinem Jugendstil-Thrönchen, das so genannt wurde, weil es in der Jugend der Welt geschnitzt worden war, begrüßte alle ein weiteres Mal, wie die Etikette es vorschrieb, also unfreundlich, und deutete durch mimische Finessen an, eigentlich lieber woanders sein zu wollen. Die Wanderer ließen sich nieder auf weniger spektakuläre Stühle und schauten fragend. Kein Getränk? Sie waren desillusioniert. Plötzlich tauchte Awon auf und schleuderte einen zerfleddert aussehenden, erschöpft doch geheilt wirkenden Frohdoof gegen den Beratungstisch. »Da habt ihr ihn wieder!«
    In langatmiger Manier wurden nun endlose Tiraden von Begrüßungsstandards verlautbart, mal von jener, dann von der anderen Tischseite herschallend, und noch hatte nicht einer der Versammelten den Grund seiner Reise nach Imladen dargelegt. Da schnellte Ganzhalb von seinem verschnitzt wirkenden Sessel hoch und schnarrte: »Wir sollten jetzt auf die Tempotube drücken, wie es in späteren Zeitaltern ausgedrückt wird – euch hingegen ihrer Fremdheit wegen wie eine seltsame Redewendung anfliegen mag. Die Weisen wissen doch, weswegen ihr alle zum gleichen Zeitpunkt, nämlich jetzt, hierher gekommen seid! Und niemand sollte lange um den heißen Brei herumreden!« Fragende Blicke trafen ihn.
    »Das war eine andere Redensart!«, erklärte der Zauberer unwirsch. »Noch nie gehört?«
    »Sie klingt ungehobelt!«, sprach ein um würdevolles Aussehen bemühter Alberner. »Von wo stammt sie her?«
    »Aus Dumland«, sagte Ganzhalb.
    »Das hätte man sich ja denken können. Ich hoffe, geehrter Zauberer, Ihr haltet Euch nicht allzu oft in solch verrufenen Gegenden auf!«
    Der Graue aber fuhr nun fort: »Einerlei – kommen wir zum Thema. Und also befehle ich: Nun schmeißt doch einfach alle Einen auf den Tisch! Zumindest jene von Euch, die einen Einen dabei haben, oder eine Eine – ich denke hierbei zum Beispiel an die Haarspange – oder vielleicht gar ein Eines, wie zum Beispiel das Collier. Also, Schatzträger, werft! Die anderen brauchen nur zuzuschauen. Saurum der Dunkle Herrscher darf die fluchbeladenen Schmuckstücke nämlich nicht wiedererlangen, und auf der Tischmitte sind sie zunächst sicher. Frohdoof, zeig ihnen schnell den Einen Ohrring, damit wir nicht wieder als letzte an der Reihe sind, wie beim ersten Mal! Und nimm den richtigen, oh du inzwischen Ohrschmucksüchtiger!«
    Der Hobbknick hielt den Ohrring hoch und legte ihn zögerlich auf den Tisch. Die meisten in der Runde Versammelten waren verdattert, und diejenigen, welche die bisher verborgenen Einen Kleinodien, die lang verschollenen Düsterjuwelen mitgebracht hatten, waren enttäuscht. Hatten sie doch vorgehabt, ihre Schätze erst gegen Ende der Beratung hervorzuholen, in möglichst triumphierender Geste, um einen größeren Überraschungseffekt zu erzielen. Auch waren sie verwundert, dass Ganzhalb über geheimes Wissen zu verfügen schien.
    »Er ist eben ein Zauberer«, erläuterte Allround, seine eigene Verblüffung verbergend. Jedoch dachte er ganz leise, sodass die anderen es nicht