Der Herr der Puppen: Das Geheimnis von Askir 4 (German Edition)
Schwierigkeiten offensichtlich nicht hatte. Ich sah auf die Stelle, an der sein Finger lag. Linien und Striche. Ich konnte da allenfalls etwas erahnen.
»Warum wurden die Kanäle nie fertig gestellt?«, fragte Leandra.
»Gasalabad ist eine große Stadt. Um all den Unrat fortzuspülen und zu verteilen … Hier.« Er zeigte uns einen anderen Plan, zu meinem Erstaunen war der Maßstab viel kleiner. »Manche der Tunnel hätten viele Meilen lang sein müssen. Es war ein Gefälle nötig. Es hätte Jahrzehnte gebraucht, und Tausende Männer hätten daran arbeiten müssen. Wisst ihr, dass Askir eine Kanalisation hat? Deswegen können so viele Menschen dort leben, ohne in ihrem Müll zu ersticken. Er wusste also, wie es ging … Aber Gasalabad steht auf einem Felsen in einem Meer aus Sand. Der Felsen reicht nicht weit genug. Die Ingenieure fanden es zu spät heraus, erst nachdem mit den Arbeiten bereits begonnen war. Sie hatten Bohrungen zwischen einzelnen Punkten vorgenommen und dachten, überall dazwischen wäre Fels. Es war aber nicht so, und es gab ein Unglück, bei dem Hunderte verschüttet wurden. Also wurde eine Notlösung angestrebt, ein Provisorium.« Er lächelte. »Eines, das seit Jahrhunderten seinen Dienst tut. Es gibt an vielen Stellen diese flachen Gräben. Einmal in der Woche wird nachts das Wasser des Gazar durch die Gräben geleitet, und ein Heer von Sklaven schiebt den ganzen Unrat hinein, damit er weggespült wird. Am nächsten Morgen sind die Gräben trocken und dienen wieder als Straßen und Wege. Das eigentliche Unterfangen wurde nach gut fünfundzwanzig Jahren Bauzeit abgebrochen. Die Gräben sind alles, was davon blieb.«
»Also wusste Askannon auch nicht alles«, konstatierte Natalyia nachdenklich.
Abdul sah zu ihr hinüber. »Er wusste genug. Du kannst es nicht erkennen, Tochter, aber diese Pläne sind ein Kunstwerk.«
Leandra nickte. »Das sind sie wirklich.« Sie fuhr schon fleißig die Linien mit ihren Fingern nach. »Wenn nicht mehr gebaut wurde, dann muss das hier« – sie tippte auf eine Stelle auf dem Plan – »der tiefste Ort sein.«
»Am weitesten entfernt vom Licht«, sagte ich.
Abdul schaute auf die Zeichnung und nickte zustimmend. »So sieht es auch für mich aus. Es ist in der Tat tief. Eine Grube, in der sich der Dreck der Stadt setzen sollte. Nicht weit von der Halle der Diebe entfernt, die ebenfalls als ein Senkraum geplant war.«
»Dann kenne ich bis hierher den Weg«, sagte Natalyia erleichtert. »Ich werde mich zurechtfinden.«
Ich blickte auf die sinnlosen Striche herab und hoffte, dass sie es mir gut erklären konnte, wenn sie zurückkam.
»Also, Leandra«, sagte ich. »Du kannst die Pläne lesen. Ist es möglich?«
Sie biss sich auf die Lippen. »Der Zufluss muss nicht groß sein«, antwortete sie. »Nur tief, damit das Wasser Druck hat. Hier wäre wohl der beste Ort dafür, unterhalb der Kaimauer im Hafen, dort wird kein Schlick den Zufluss verstopfen. Das Wasser wird hier entlang fließen. Es wird die Menschen erschrecken, und sie werden wahrscheinlich aus den Kanälen fliehen.« Sie lächelte leicht. »Das ist es ja, was wir wollen. Die Fluten werden diesen Weg nehmen und zuerst die Tiefen füllen.« Sie sah die Pläne nachdenklich an. »Oder besser hier. Natalyia, du warst dort. Der Fluss liegt hinter dieser Wand …«
»Ich habe ihn gehört, gesehen und gespürt«, bestätigte Natalyia. »Es ist gewachsener Fels. Ja, es ist möglich.«
»Gut«, sagte Leandra. »Dann hier. Damit wird das Wasser in die Halle der Diebe strömen. Sie wird schnell geflutet werden, aber es wird trotzdem seine Zeit dauern, denn zugleich wird es hier entlang strömen. Das hier ist ein deutliches Gefälle …« Ihr Finger folgte den Linien. »Sie werden diesen Ort für den Tempel gewählt haben, weil die ganzen Kanäle ihnen viele Fluchtwege geben, aber sie laufen hier zusammen … Das Wasser wird die Kanäle fluten, noch bevor es den Tempel erreicht, und sie werden abgeschnitten sein. Es wird hier aus einem hohen Kanal kommen wie ein Sturzbach, der alles mit sich reißt. Bis das Wasser all diese tiefen Räume geflutet hat, wird Zeit vergehen. Dann wird es von unten steigen und sich in der Kanalisation ausbreiten.«
Sie sah mich an und lächelte.
»Es wird den Menschen in den oberen Kanälen auf jeden Fall Zeit geben, die Kanalisation zu verlassen. Aber alles, was tiefer liegt, ist in dem Moment verloren, in dem diese Wand bricht.« Diesmal war ihr Blick ernst. »Niemand wird
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