Der Herr der Puppen: Das Geheimnis von Askir 4 (German Edition)
alles seinen Sinn, es ist eine ordnende Hand darin zu sehen, der Götter Wille und Schöpfung. Ein Wunder … und ein schrecklicher Anblick zugleich.«
Ich schloss die Augen. »Ich habe gelernt, mit der Spitze meines Schwertes den Weg zwischen den Rippen zum Herzen zu suchen, und oft genug habe ich diesen Weg gefunden. Ich sah den Blick des Gelehrten, des Leibarztes, als er den Brustkorb öffnete. Er wusste, was er tat, so brutal es auch wirkte, seine Augen zeigten Ehrfurcht. Da war ein Mann, den ich bewunderte, jemand, der sein Leben dazu verwendet, zu heilen, was andere zerstören, der wohl noch niemals ein anderes Leben beendet hat. Ich kann mich erinnern, wie ich mich fühlte, als ich das erste Mal ein Leben nahm … Doch an das Gefühl der Unschuld vorher vermag ich mich nicht mehr zu erinnern.« Ich sah zu ihr hinüber. »Wir haben freien Willen, denn es kann nicht der Götter Wille sein, dass ihre Schöpfung sich selbst zerstört …«
Ich schaute auf meine Hand herab, an einem Finger schimmerte ein breites goldenes Band. Der Ring. Ich zog daran, doch er saß fest. Aber er ließ sich drehen. also drehte ich ihn, bis die Siegelplatte, die ich meist innen trug, zu erkennen war. »Dieser Ring bewirkt etwas. Ich habe nicht das gesehen, was die anderen sahen, und ich habe etwas gespürt, als ich das Herz des Emirs berührte. Du hättest die Essera Falah sehen sollen, wie sie dastand, mit steinernem Gesicht, die Muskeln so angespannt, dass ich dachte, ihr Kiefer würde gleich zerspringen, als da Halat den ersten Schnitt tat.« Ich sah gequält zu Leandra hoch. »Wie hätte ich ihr sagen sollen, was ich in jenem Moment spürte?«
»Was hast du gespürt, Havald?«, fragte sie leise.
»Der Nekromant hat dem Emir nicht nur das Leben genommen, sondern auch die Seele. Wie Ordun sie Helis genommen hat. Wie es auch mir beinahe ergangen wäre!«
Leandras Augen weiteten sich. »Aber nur die falsche Marinae hat dort gestanden, niemand hat ihn berührt. Und heißt es nicht, dass Nekromanten einen berühren müssen, um die Seele zu rauben?«
»Genau das ist es«, sagte ich schwer und ließ mich nach hinten auf das Bett fallen. »Der hier vermag aus der Ferne zu töten und die Seele zu nehmen. Unsichtbar, unbemerkt. Als mir das klar wurde, suchte ich nach einem anderen Gedanken, sonst hätte ich jeden dort im Raum beschämt. Dunkles Kronskrager.« Ich lachte leise und schüttelte den Kopf. »Das war der einzige Gedanke, den ich zuließ. Ein legendäres Bier. An mehr wollte ich nicht denken, mehr nicht sehen, ich wollte nicht diesen Geschmack von Eisen in meinem Mund spüren, nur diesem einen Gedanken ließ ich Raum. Als ich die Spur des Nekromanten berührte, war dieser Gedanke der einzige, der mich bei Sinnen hielt. Ich wollte nur ein Bier.« Ich sah zu ihr hoch, sie hatte sich zu mir gesetzt. »Verrückt, nicht wahr?«
»Das dachte ich, als Serafine es mir erzählte. Jetzt denke ich anders.« Sie beugte sich vor und küsste mich. Ich erwiderte den Kuss und sah sie überrascht an, als sie sich löste. Sie lachte etwas und rümpfte dabei die Nase. »Manchmal kann man kleine Opfer bringen.«
Sie stand auf und ging hinüber zu dem kleinen Sekretär, nahm zwei Bögen dicht beschriebenes Pergament und hielt sie hoch. »Ich bin gerade damit fertig geworden. Willst du es lesen?«
Ich nickte, nahm die beiden Pergamente und begab mich mit ihnen auf den Balkon. Die Schatten lagen fast waagerecht, der Abend stand bevor.
Ihre Schrift war fein und sauber, gut zu lesen. Nicht dass dies meine beste Gabe wäre. Ich beherrschte das Schreiben, damit war ich schon zufrieden. Es stand wenig Persönliches in dem Brief, nur dass wir tatsächlich einen Weg nach Askir gefunden hätten und vorhatten, dort eine Legion aufzustellen. Leandra war realistisch, hielt es für unwahrscheinlich, dass die Legion vor Jahresfrist Illian verstärken könnte. Was ich zwischen den Zeilen las, war noch etwas anderes: das bittere Eingeständnis, dass Hilfe zu spät kommen würde und es nur eine Hoffnung war, das Land wieder zu befreien. Hoffnung war das falsche Wort. Es war ein Versprechen. Sie erwähnte die magischen Tore nicht, auch nicht die Bergfeste, und blieb vorsichtig in der Wortwahl.
Ich sah sie über den Rand der Pergamentbögen an und reichte ihr die Papiere zurück. Sie seufzte, entzündete mit einer Geste eine kleine Kerze, die unter einer kleinen Konstruktion mit einer Messingschale obenauf auf ihrem Schreibtisch stand. In der Schale lagen ein
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