Der Herr der Puppen: Das Geheimnis von Askir 4 (German Edition)
Überraschenderweise lehnte ein Schwert mit einer sehr schlanken Klinge neben ihr an der Wand. Sie nickte Hahmed zu und musterte uns dann eindringlich.
»Kommt herein und setzt euch«, sagte die Essera Falah und fuhr sich durch das volle graue Haar, um es achtlos mit einer Schnur zu binden. »Faihlyd wird ebenfalls gleich erscheinen. Sie hat nicht gut geschlafen und einen starken Tee zu sich genommen.«
Wir warteten, denn sie hatte sich noch nicht gesetzt. Aber sie vollführte nun eine herrschaftliche Geste, Hahmed schluckte und setzte sich, und wir folgten seinem Beispiel.
»Es ist gut vierzig Jahre her seit dem letzten derartigen Eindringen. Ich erhielt auf diese Weise Kunde vom Tod meines Gemahls. Ich hoffe, ihr bringt eine bessere Botschaft.«
»Möglicherweise. Wir …«, begann ich, doch sie hielt abwehrend die Hand hoch.
»Wartet auf Faihlyd.«
Ich verbeugte mich ergeben.
»Ihr habt einen guten Grund, nehme ich an?«, fragte sie und rieb sich mit den Fingerspitzen über die Schläfen. Ich hatte die Essera erst kürzlich gesehen, doch nun erschien sie mir gealtert und erschöpft, und das lag nicht daran, dass sie eben erst das Bett verlassen hatte. Die Essera Falah war eine jener Frauen, deren Schönheit zeitlos war, die sich nur verwandelte und nicht verging. Jetzt, da sie offen und ungeschminkt vor uns stand, war die Ähnlichkeit mit Marinae und Faihlyd offensichtlich.
Wir warteten. Ich fühlte mich unbehaglich dabei, zu sitzen, während die Essera stand. Das Schwert mit der eleganten, schmalen Klinge fiel mir auf, denn es war in ihrer Reichweite. Dass wir uns hier befanden, und das auch noch bewaffnet, war ein Zeichen großen Vertrauens. Saßen wir deswegen am Tisch, damit wir beim Aufspringen Zeit verlieren sollten und so der Essera Gelegenheit geben würden, nach ihrem eigenen Schwert zu greifen?
Vertrauen. Wenn Vater, Mann, Sohn und Tochter Opfer von Attentätern wurden, wie weit konnte man noch vertrauen? Wie weit konnte man noch glauben, dass ein solch ungewohnt früher und ungewöhnlicher Besuch Gutes bedeuten konnte?
Wenn wir in böser Absicht gekommen wären, was würde ihr dann das Schwert nützen? Ich sah ihren Blick nachdenklich auf mir ruhen. Ich hatte das Schwert zu lange angesehen.
Die Essera seufzte und zog sich einen Stuhl heran, um sich seitlich ans Kopfende des Tischs zu setzen. Der Stuhl am Kopfende war wohl für Faihlyd.
»Seid Ihr so gut mit der Klinge, dass Ihr wirklich hoffen könntet, gegen uns zu bestehen?«, fragte ich leise, und sie lächelte.
»O Havald, ich mag Euch. Ihr habt so gar keinen Begriff von Diplomatie oder von Takt. In jungen Jahren war ich erträglich gut mit der Klinge.«
So lange war es nicht her, dass ich dasselbe von mir gesagt hatte. Ich vermutete, dass sie es so meinte wie ich, und musste schmunzeln.
Sie warf mir einen scharfen Blick zu. »Vielleicht hätte ich Zeit genug gewonnen, damit Faihlyd sich retten kann. Die Tür ist nicht mehr verschlossen, und Ihr ahnt nicht, wie schnell unsere Wächter sein können.« Sie lächelte. »Sie üben das Hereinstürmen sogar, damit sie nicht über die Möbel stolpern, selbst wenn es stockdunkel ist.« Sie sah sich um und ließ ihre Blicke durch den Raum schweifen. »Das ist mein Zimmer, aber ich darf nichts verändern, weil es gefährlich wäre.« Sie zuckte mit den Schultern. »Deshalb gibt es so viel Platz zwischen den Tischen, Kissen und Möbeln.«
Die Essera sah zur Tür zu den Schlafgemächern. »Ihr bringt mich in eine missliche Lage. Faihlyd hätte schon erscheinen müssen.«
»Ruft die Wachen und seht nach ihr«, schlug ich vor.
»Das wäre unhöflich«, entgegnete sie und erhob sich wieder, um zur Tür zu gehen. Lautlos öffnete sie sie und verschwand dahinter.
Ich betrachtete das Schwert mit der schmalen Klinge, das sie zurückgelassen hatte. Die letzte Verteidigung einer Frau, die schon so viele ihrer Lieben verloren hatte.
Hahmed räusperte sich. Wir sahen ihn an.
»Ich habe noch niemals erlebt, dass sie jemandem so sehr vertraute«, sagte er leise. »Es ist eine ungeheure Ehre.« Seine Augen sagten mir, dass er trotzdem wachsam blieb. Auch er würde versuchen uns aufzuhalten. Es brauchte nicht ausgesprochen zu werden. Wir blieben ruhig sitzen und hielten unsere Hände auf dem Tisch, fern von unseren Waffen.
Es dauerte lange, dann öffnete sich die Tür wieder und Essera Falah kam herein.
»Sie hat zu viel von den Tropfen genommen«, sagte sie. »Es ist ihr nicht möglich, richtig zu
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