Der Herr der Puppen: Das Geheimnis von Askir 4 (German Edition)
tranken hin und wieder dankbar davon. Die Emira blieb eine Zeit lang, unterhielt sich leise mit ihrer Großmutter und betrachtete neugierig den ungewohnten Anblick der Stadt, über die sie herrschte. Dann kletterte sie wieder hinunter; auch sie war klug genug, es auf allen vieren zu tun. Es sah schon seltsam aus und rief hier und da ein Lächeln hervor, aber jeder wusste, dass ein Fehltritt für sie das Ende bedeuten konnte. Und wir anderen mussten ja auch alle wieder diese Stufen hinunter.
Hier oben, hoch über der Stadt, wehte ein leichter Wind, es war angenehm, und die Stadt wirkte malerisch und ruhig, kaum ein Geräusch drang bis hierher.
»Es war mein Lieblingsplatz«, sagte Serafine, als ich dahingehend etwas bemerkte. »Jerbil und ich waren oft hier oben«, fügte sie leise hinzu. Das konnte ich mir gut vorstellen.
Immer wieder warf die Essera Falah einen Blick hoch zur Sonne, die unaufhaltsam höher stieg. Kurz bevor es daran ging, den Spiegel aufzurichten, geschah es: ein Schrei, ein Aufprall, dann ein weiterer Aufprall und Stille. Einer der Soldaten war mit einem frischen Krug Wasser beim Aufstieg gestrauchelt und verfehlte, wie sein Kamerad vor so vielen Jahren, beim Sturz das Dach, um auf den harten Steinen vor dem Portal des Palasts sein Ende zu finden.
Ich sah hinab auf den Platz, wo er lag, beobachtete, wie andere Soldaten herbeirannten, und schluckte. Ich schaute zu Leandra hinüber. Egal wie sicher ihr Schritt war, ich wollte nicht, dass sie ein weiteres Risiko einging.
Ein anderer Soldat brachte einen neuen Krug mit kühlem, klarem Wasser, die Soldaten tranken durstig davon und arbeiteten wortlos weiter.
Letztlich bewegten sich die massiven Zahnräder dann doch, und während die Soldaten schweißgebadet an den schweren Kurbeln drehten, hob sich der Rahmen viel zu langsam aus seinem Bett. Als der Spiegel noch waagerecht lag, hatten Serafine und Natalyia ihn mit Tüchern geputzt, ihn vom Staub und Dreck der Jahrhunderte befreit. Jetzt glänzte er wieder, und man musste aufpassen, nicht im falschen Winkel hinzusehen. Wenn die Sonne ungünstig einfiel, konnte man davon erblinden.
Eine andere Gefahr offenbarte sich erst jetzt. Der Spiegel hatte die Kuppel verschlossen, und als er sich nun hob, konnten wir tief unter uns das Bodenmosaik des alten Thronsaals sehen. Jetzt galt es, auch dort am Rand vorsichtig zu sein, damit man nicht in den Thronsaal hinabstürzte. Wir hielten uns fern.
Ich lehnte mich in den Kissen zurück und döste ein Weilchen, Leandra lehnte sich an mich, und ich spürte ihren Atem an meiner Wange, als auch sie etwas schlief. Es war ein seltsam ruhiger und beschaulicher Moment. Immer wieder öffnete ich träge ein Auge, um den Fortschritt der Arbeiten zu begutachten. Zwischenzeitlich wurden auch die Soldaten abgelöst, die anderen arbeiteten genauso fleißig weiter.
Vor dem Rahmen mit dem Spiegel befand sich ein weiterer, mit dem drehbaren Rahmen verbunden. Dieser besaß Lamellen und einen großen Hebel. Auch dort werkelten die Soldaten, um den Rahmen zu säubern und den Mechanismus gangbar zu machen, ständig in Gefahr abzustürzen, denn dieser Rahmen schwebte höher als das Geländer und hing über die Rundung des Dachs hinaus. Eine falsche Bewegung und sie wären gefallen, doch es geschah nichts. Einmal rutschte einer der Soldaten aus, doch sein Kamerad hielt ihn.
Schier endlose Mengen von Olivenöl wurden verbraucht, bis der Geruch des Öls überall zu haften schien. Unsere Gewänder waren allesamt ordentlich verdreckt, selbst die Essera Falah hatte Flecken auf ihren edlen Roben. Es kümmerte uns nicht.
Letztlich aber war es dann doch so weit: Der Spiegel war vollends aufgerichtet, und Serafine kletterte vorsichtig die eisernen Stufen hoch, um sich in diesem unsicheren Hochsitz einzukeilen. Von dort gab sie Anweisungen, wie der Spiegel auszurichten war, während sie durch die Löcher in dem Schlitten einen fernen Fixpunkt anvisierte.
Direkt unter ihr lag in schwindelerregender Tiefe der Thronsaal. Einmal hämmerte sie mit beiden Händen gegen den störrischen Schlitten, und für einen endlos langen Moment glaubte ich schon, sie fallen zu sehen, aber sie fing sich und tat, als wäre nichts gewesen.
Schließlich war es so weit. Sie rief einen der Soldaten hoch zu sich und erklärte ihm, wie er den Spiegel gegen die Sonne und diesen fernen Fixpunkt zu führen hatte, denn es war beabsichtigt, das Signal so lange zu senden, wie es der Sonnenstand zuließ. Dazu musste der
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