Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
langen Tafel, und neben ihm saßen auf der einen Seite Glorfindel, auf der andern Gandalf.
Frodo betrachtete sie voll Neugier. Elrond, von dem doch in so vielen Erzählungen die Rede war, hatte er noch nie gesehen; und rechts und links neben ihm erschienen nun auch Glorfindel und sogar Gandalf, den er doch gut zu kennen glaubte, mit einem Mal als Herren von Rang und Würde.
Gandalf war kleiner als die beiden andern, aber mit seinem langen weißen Haar, dem silbrigen Rauschebart und den breiten Schultern sah er aus wie ein weiser König aus alten Sagen. Unter den dichten schneeweißen Brauen in seinem faltigen Gesicht standen die dunklen Augen wie zwei Kohlen, die plötzlich erglühen konnten.
Glorfindel war groß und schlank, das Haar golden schimmernd, das Gesicht edel, jugendlich, furchtlos und heiter, die Augen hellund scharf. Seine Stimme klang wie Musik, Weisheit leuchtete ihm von der Stirn, und wie viel Kraft in seiner Hand war, konnte man nur ahnen.
Elronds Gesicht war zeitlos, nicht alt und nicht jung, doch stand die Erinnerung an viel Freud und Leid darin eingeschrieben. Sein Haar war dunkel wie Schatten im Zwielicht und mit einem silbernen Reif gekrönt; seine Augen waren grau wie ein schöner Abend, und aus ihnen schimmerte ein Licht wie von Sternen. Ehrwürdig sah er aus wie ein König mit vielen Wintern auf dem Scheitel und doch rüstig wie ein kampferprobter Krieger in der Fülle seiner Kraft. Er war der Herr von Bruchtal und ein Mächtiger unter den Elben wie unter den Menschen.
In der Mitte der Tafel, vor den gewebten Wandbehängen, stand ein Sessel unter einem Baldachin, und darin saß eine Dame, lieblich anzusehen und in weiblich abgewandelter Gestalt Elrond so ähnlich, dass Frodo sogleich eine nahe Verwandtschaft erriet. Jung war sie und auch wieder nicht jung. Die Flechten ihres dunklen Haars waren noch von keinem Rauhreif versilbert; ihre weißen Arme und das reine Gesicht waren makellos und glatt, und der Sternenschein leuchtete auch aus ihren Augen, die grau waren wie die wolkenlose Nacht; und doch sah sie wie eine Königin aus, die schon vieles erlebt hat, das nur die Jahre bringen, und aus ihrem Blick sprachen Wissen und Verstand. Über der Stirn trug sie eine Haube aus silberner Spitze, mit kleinen, weiß glitzernden Edelsteinen besetzt; doch an ihrem fließenden grauen Kleid war kein Schmuck außer einem Gürtel von in Silber getriebenen Blättern.
So also sah Frodo die Dame, die erst wenige Sterbliche mit eigenen Augen gesehen hatten: Elronds Tochter Arwen, von der es hieß, in ihr sei Lúthiens Ebenbild wieder auf Erden erschienen; auch Undómiel wurde sie genannt, denn sie war der Abendstern ihres Volkes. Lange hatte sie bei der Sippe ihrer Mutter, in Lórien, jenseits des Gebirges gewohnt, und erst vor kurzem war sie nach Bruchtal zurückgekehrt, ins Haus ihres Vaters. Ihre Brüder Elladan und Elrohir aber waren nicht da; sie waren auf Fahrt. Oft ritten sie mitden Waldläufern des Nordens weit über Land und vergaßen niemals die Qualen, die ihre Mutter in den Höhlen der Orks erlitten hatte.
Nie zuvor hatte Frodo ein lebendes Geschöpf von solchem Reiz gesehen oder sich vorstellen können; und um so mehr erstaunte und beschämte es ihn, sich selbst unter so vielen Edlen und Hochmögenden an Elronds Tafel zu sehen. Obwohl man ihm seinen Sitz hobbitgerecht mit mehreren Kissen erhöht hatte, kam er sich sehr klein und ein wenig fehl am Platz vor; doch dieses Gefühl verlor er schnell. Es wurde ein ausgelassenes Fest, und die Speisen übertrafen alles, was sein Hunger sich nur wünschen konnte. Es dauerte eine ganze Weile, bis er zum ersten Mal von seinem Teller aufsah oder ein Wort mit seinen Nachbarn redete.
Zuerst schaute er nach seinen Freunden. Sam hatte darum gebeten, seinem Master bei Tisch aufwarten zu dürfen, worauf ihm klargemacht wurde, dass er bei dieser Gelegenheit selbst ein Ehrengast sei. Also saß er jetzt zusammen mit Pippin und Merry am oberen Ende eines Seitentischs dicht bei der Estrade. Streicher war nirgends zu sehen.
Rechts neben Frodo saß ein Zwerg von würdigem Aussehen und in prächtiger Kleidung. Sein überaus langer Gabelbart war weiß, fast so schneeweiß wie das feine Tuch seines Gewandes. Er trug einen silbernen Gürtel und um den Hals eine Kette von Silber und Diamanten. Frodo hielt beim Essen inne, um ihn zu betrachten.
»Seien Sie gegrüßt und willkommen!«, sagte der Zwerg und wandte sich ihm zu. Dann stand er sogar von seinem Stuhl auf und
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