Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
im Auenland?«
Frodo steckte den Ring weg. Der Schleier verschwand und hinterließ kaum eine Spur in seiner Erinnerung. Der Feuerschein aus dem Kamin und die Musik von Bruchtal umgaben ihn wieder. Bilbo lachte und war bester Laune. Jede kleine Neuigkeit aus der Heimat, die Frodo zum Besten geben konnte – hin und wieder von Sam ergänzt und berichtigt –, war für ihn von höchstem Interesse: welches Bäumchen wann gefällt worden war, was für Streiche die kleinen Hobbitbuben neuerdings den Erwachsenen spielten. So sehr vertieften sie sich in die Ereignisse, die in den vier Auenlandvierteln die Gemüter bewegten, dass sie gar nicht den in dunkelgrünes Tuch gekleideten Menschen bemerkten, der an sie herantrat. Mehrere Minuten lang stand er bei ihnen und schaute lächelnd auf sie herab. Dann blickte Bilbo einmal auf.
»Ach, da bist du ja endlich, Dúnadan!«, rief er.
»Streicher!«, sagte Frodo. »Du scheinst viele Namen zu haben.«
»Na, Streicher ist einer, den ich noch nie gehört habe«, sagte Bilbo. »Weshalb nennst du ihn so?«
»So nennt man mich in Bree«, sagte Streicher belustigt, »und so wurde ich ihm vorgestellt.«
»Und warum nennst du ihn Dúnadan?«, fragte Frodo.
» Den Dúnadan«, sagte Bilbo. »So nennt man ihn hier oft. Aber ich dachte, so viel Elbisch kannst du doch, dass du dún-adan verstehst: Mensch aus dem Westen, Númenórer. Aber jetzt ist keine Schulstunde.« Er wandte sich an Streicher. »Wo hast du gesteckt, mein Freund? Warum warst du nicht bei dem Gelage? Frau Arwen war doch auch da.«
Streicher blickte ernst zu Bilbo hinab. »Ich weiß«, sagte er. »Doch manchmal muss ich auf ein Vergnügen verzichten. Elladan und Elrohir sind unerwartet von ihrer Fahrt zurückgekehrt und brachten Nachrichten mit, die ich sogleich hören wollte.«
»Nun, jetzt, wo du sie gehört hast, mein Bester, hast du einen Moment Zeit für mich? Ich brauche dringend deine Hilfe. Elrond sagt, dieses Lied von mir soll heute Abend noch fertig werden, und ich krieg es nicht hin! Gehn wir in eine Ecke und feilen es zurecht!«
Streicher lächelte. »Na, dann komm!«, sagte er. »Lass hören!«
Frodo blieb eine Weile für sich, denn Sam war eingeschlafen. Er war allein und kam sich ein wenig verloren vor, obwohl ringsum ganz Bruchtal versammelt war. Aber alle, die in seiner Nähe saßen, schwiegen still und lauschten den Sängern und den Instrumenten, ohne sich um irgendetwas anderes zu kümmern. Auch Frodo begann zuzuhören.
Gleich, nachdem er aufmerksam geworden war, nahm ihn die Schönheit der Melodien und der dicht verflochtenen Verse in der Elbensprache gefangen, obwohl er nur wenig verstand. Fast schienen die Worte Gestalt anzunehmen und Bilder von fernen Ländern und prächtigen Dingen, von denen er nie etwas geahnt hatte, vor ihm auszubreiten; und aus dem Feuerschein in der Halle wurde ein goldener Dunst auf den schäumenden Meeren, die die Ränder der Welt umschlangen. Mehr und mehr versetzte ihn der Zauber in einen traumnahen Zustand, bis er einen endlosen Strom von Gold und Silber über sich hinfluten fühlte, in Wellen, die zu mannigfach waren, als dass er ihre Ordnung begreifen konnte, und die in den Wellenschlag der Luft um ihn her übergingen, ihn badeten und ertränkten. Rasch versank er unter ihrer schimmernden Last in ein tiefes Reich des Schlafes.
Dort schweifte er lange durch einen Traum von einer Musik, aus der zuerst ein Wasserlauf und dann plötzlich eine Stimme wurde. Es schien Bilbos Stimme zu sein, die Verse deklamierte, zuerst leise, dann deutlicher.
Earendil hieß ein Schiffer kühn,
Der weilte in Avernien,
Schlug Holz und baute sich ein Schiff,
Vom Nimbrethil auf Fahrt zu gehn.
Die Segel zog er silbern auf,
Laternen silbern hing er aus,
Den Bug schuf er dem Schwane gleich,
Die Wimpel flogen hell im Licht.
Dem alten Königsbrauch gemäß
Legte er Helm und Rüstung an,
Grub Runen in den Silberschild
Zum Schutze gegen Harm und Not;
Sein Bogen war aus Drachenhorn,
Aus Ebenholz ein jeder Pfeil,
Sein Köcher war aus Chalzedon,
Sein kräftiges Schwert aus blankem Stahl.
Sein Helm war adamanten hart
Und Adlerfedern krönten ihn,
Aus Silber war sein Panzerhemd,
Auf seiner Brust schien ein Smaragd.
Es trieb ihn unter Mond und Stern
Weitab vom Nördlichen Gestad,
Und irrend übers wilde Meer
Verlor er Sicht und Menschenspur.
Von Eisesgründen wandte er
Sich ab, wo ewig Schatten herrscht,
Die Wüstenhitze auch verließ
Er eilends, trieb noch weit umher
Auf
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