Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
bewandert ist. Nur so viel konnte er uns sagen, dass Imladris von alters her bei den Elben der Name eines Tals im fernen Norden sei, wo Elrond der Halbelb wohne, der größte aller Gelehrten. Angesichts unserer verzweifelten Lage drängte es meinen Bruder, den Traum zu befolgen und Imladris aufzusuchen; ich aber, weil der Weg ungewiss und gefahrvoll war, beschloss, die Reise auf mich zu nehmen. Leid war es meinem Vater, mich ziehen zu lassen, und lange bin ich vergessene Wege gewandert, auf der Suche nach Elronds Haus, von dem viele gehört hatten, doch nur wenige sagen konnten, wo es liege.«
»Und hier in Elronds Haus soll dir noch einiges klar werden«, sagte Aragorn und stand auf. Er warf sein Schwert auf den Tisch, der vor Elrond stand: Die Klinge war in zwei Stücken. »Hier ist das zerbrochene Schwert!«, sagte er.
»Und wer bist du, und was hast du mit Minas Tirith zu schaffen?«, fragte Boromir und musterte zweifelnd das hagere Gesicht des Waldläufers und seinen wettergeprüften Mantel.
»Er ist Aragorn, Arathorns Sohn«, sagte Elrond, »und über viele Vorväter stammt er von Elendils Sohn Isildur ab, dem Herrn von Minas Ithil. Er ist das Oberhaupt der Dúnedain des Nordens, und wenige sind noch übrig von seinem Volk.«
»Dann gehört er gar nicht mir, sondern dir!«, rief Frodo verdutzt und sprang auf, als erwartete er, dass man ihm den Ring sogleich abverlangen werde.
»Er gehört weder dir noch mir«, sagte Aragorn, »doch ist verfügt worden, dass du ihn eine Zeit lang verwahren sollst.«
»Weise den Ring vor, Frodo!«, sagte Gandalf feierlich. »Die Zeit ist gekommen. Halte ihn hoch, und Boromir wird auch das Übrige an seinem Rätsel aufgelöst finden.«
Stille trat ein, und aller Augen richteten sich auf Frodo. Scham und Furcht packten ihn plötzlich, und es widerstrebte ihm heftig, den Ring vorzuzeigen oder ihn auch nur zu berühren. Er wünschtesich weit fort. Der Ring schimmerte und funkelte, als er ihn mit zitternder Hand emporhielt.
»Sehet da! Isildurs Fluch«, sagte Elrond.
Boromirs Augen glitzerten, als er das goldene Ding anstarrte. »Der Halbling!« murmelte er. »Ist also das Ende von Minas Tirith gekommen? Aber warum dann sollten wir ein zerbrochenes Schwert suchen?«
»Es hieß nicht das Ende von Minas Tirith «, sagte Aragorn. »Doch ein Ende und große Taten stehen uns wirklich bevor. Denn das zerbrochene Schwert ist Elendils Schwert, das unter ihm brach, als er fiel. Von seinen Erben wurde es wie ein Schatz gehütet, als sie alle anderen Erbstücke längst verloren hatten, denn ein alter Spruch sagte uns, dass es neu geschmiedet werde, wenn der Ring, Isildurs Fluch, gefunden sei. Nun, da du das Schwert, das du suchtest, gesehen hast: Was wünschst du dir? Dass das Haus Elendil nach Gondor zurückkehrt?«
»Ich wurde nicht abgesandt, irgendeinen Beistand zu erbitten, sondern nur, die Bedeutung eines Rätsels zu erfragen«, antwortete Boromir stolz. »Aber wir sind in Nöten, und Elendils Schwert wäre eine unverhoffte Verstärkung – wenn denn eine solche Waffe wirklich aus dem Dunkel der Vergangenheit wieder auftauchen kann.« Er musterte Aragorn von neuem, und der Zweifel stand ihm auf die Stirn geschrieben.
Frodo merkte, wie Bilbo an seiner Seite in Bewegung kam. Offenbar ärgerte ihn, wie sein Freund behandelt wurde. Plötzlich stand er auf und machte sich Luft:
Nicht jeder Verirrte verliert sich,
Nicht alles, was Gold ist, glänzt;
Die tiefe Wurzel erfriert nicht,
Was alt ist, wird nicht zum Gespenst.
Aus Schatten ein Licht entspringe!
Aus Asche soll Feuer loh’n!
Heil wird die zerbrochene Klinge,
Der Kronlose steigt auf den Thron.
»Vielleicht nicht sehr schön, aber klar – wenn dir Elronds Wort nicht genügt. Wenn du hundertundzehn Tage gereist bist, um es zu hören, dann beherzige es auch!« Grollend setzte er sich wieder hin.
»Hab ich selbst gemacht«, flüsterte er Frodo zu, »für den Dúnadan, schon vor langer Zeit, als er mir zum ersten Mal gesagt hat, wer er ist. Ich wünschte fast, meine Abenteuer wären noch nicht zu Ende, und ich könnte mit ihm gehen, wenn sein Tag kommt.«
Aragorn lächelte ihm zu, dann wandte er sich wieder an Boromir. »Für mein Teil finde ich deinen Zweifel verzeihlich«, sagte er. »Wenig ähnlich sehe ich den Standbildern Elendils und Isildurs, wie sie gemeißelt in all ihrer Majestät in Denethors Hallen stehen. Ich bin nicht Isildur, nur sein Erbe. Ein schweres Leben habe ich gehabt und ein langes; und die
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