Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
hervor, eroberten Minas Ithil und verwandelten es in eine Stätte des Grauens; und nun heißt es Minas Morgul, der Turm der Hexerei. Minas Anor ward umbenannt in Minas Tirith, Wachtturm; und die beiden Städte bekriegten sich unablässig. Osgiliath aber, das zwischen ihnen lag, ward verlassen, und Schatten gingen um in seinen Ruinen.
So steht es seit vielen Menschenleben. Und noch immer kämpfen die Herren von Minas Tirith und trotzen unseren Feinden, haltenden Fluss offen von den Argonath bis zum Meer. Und nun geht der Teil der Geschichte, den ich erzähle, zu Ende. Denn in den Tagen Isildurs verschwand der Herrscherring aus aller Kenntnis der Welt, und die Drei wurden von seiner Herrschaft befreit. Doch in diesen späten Tagen sind sie von neuem in Gefahr, denn zu unserem Leidwesen ward der Eine wieder gefunden. Wie dies geschah, sollen andere berichten, denn ich habe daran nur geringen Anteil gehabt.«
Er schwieg, doch sofort stand Boromir auf und trat hoch erhobenen Hauptes vor sie hin. »Erlaubt mir, Meister Elrond«, sagte er, »zunächst einiges mehr über Gondor zu sagen, denn eben aus dem Lande komme ich. Und allen täte es gut, zu erfahren, was dort vorgeht. Denn wenige, denk ich, wissen, was wir dort leisten, und ahnen daher, was ihnen droht, sollten wir am Ende erliegen.
Glaubt nicht, dass im Lande Gondor das Blut von Númenor sich erschöpft oder alle Hoheit und Würde eingebüßt habe! Durch unsere Taten werden noch immer die wilden Völker des Ostens abgewehrt und die Ausgeburten der Hexerei in die Schranken gewiesen; und so sind wir allein das Bollwerk, das den Ländern im Westen Frieden und Freiheit bewahrt. Doch sollte nun der Feind die Flussübergänge gewinnen, was dann?
Und diese Stunde ist vielleicht nicht mehr fern. Der namenlose Feind ist wieder erstanden. Rauch steigt auf vom Orodruin, den wir den Schicksalsberg nennen. Die Macht des schwarzen Landes wächst, und wir sind schwer in Bedrängnis. Nach der Rückkehr des Feindes wurde unser Volk aus Ithilien vertrieben, unserem schönen Besitz östlich des Stroms; doch hielten unsere Streitkräfte dort auf einem Vorposten aus. Im Juni dieses Jahres aber griff uns Mordor plötzlich an, und wir wurden weggefegt. Wir mussten der Übermacht weichen, denn Mordor hat sich mit den Ostlingen und den grausamen Haradrim verbündet; doch nicht durch die Überzahl allein wurden wir besiegt. Eine Macht wirkte gegen uns, von der wir zuvor nichts ahnten.
Manche sagen, sie sei sichtbar gewesen in Gestalt eines großen Schwarzen Reiters, der wie ein Schatten unter dem Mond aufzog.Wo er hinkam, wurden die Feinde zu Rasenden, während auf unserer Seite auch die Tapfersten erschraken, sodass für Ross und Reiter kein Halten mehr war. Nur ein Rest unserer östlichen Streitmacht kam zurück und zerstörte die letzte Brücke, die noch zwischen den Ruinen von Osgiliath stand.
Ich war bei dem Trupp, der die Brücke verteidigte, bis sie hinter uns abgebrochen wurde. Nur vier von uns konnten sich schwimmend retten, mein Bruder, ich und noch zwei andere. Aber wir geben nicht auf. Das gesamte Westufer des Anduin halten wir, und alle, die hinter unserm Rücken Schutz finden, lobpreisen unsere Namen, wenn sie ihnen je zu Ohren kommen: viel Ehre, doch wenig Beistand. Nur noch aus Rohan werden uns Reiter zu Hilfe kommen, wenn wir sie rufen.
In dieser bösen Stunde bin ich zu Elrond gekommen, über viele gefährliche Wegstunden hinweg: hundertundzehn Tage bin ich unterwegs gewesen, ganz allein. Doch ich komme nicht, um Verbündete für den Krieg zu gewinnen. Elronds Macht, so sagt man, ist Weisheit, nicht Waffengewalt. Ich bitte um Rat und Enträtselung dunkler Sprüche. Denn am Abend vor dem überraschenden Angriff hatte mein Bruder in unruhigem Schlaf einen Traum; und ein ähnlicher Traum kam ihm später noch oft, und einmal auch mir.
In diesem Traum glaubte ich den Himmel im Osten sich verfinstern und ein Gewitter heraufziehen zu sehen; doch im Westen hielt sich noch ein blasser Lichtschein, und von dort hörte ich eine ferne, doch deutliche Stimme rufen:
Das zerbrochene Schwert sollt ihr suchen,
Nach Imladris ward es gebracht,
Dort soll euch Ratschlag werden,
Stärker als Morgul-Macht.
Ein Zeichen soll euch künden,
Das Ende steht bevor,
Denn Isildurs Fluch wird erwachen,
Und der Halbling tritt hervor.
Von diesen Worten verstanden wir wenig, und wir sprachen mit unserem Vater Denethor, dem Statthalter von Minas Tirith, der in den Überlieferungen von Gondor
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