Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
Haldir und sein Begleiter spannten die Bogen. »Die Seuche über die Zwerge und ihre Halsstarrigkeit!«, sagte Legolas.
»Bitte!«, sagte Aragorn. »Wenn ich weiterhin diese Fahrt anführen soll, dann tut ihr jetzt, was ich sage! Es ist hart für den Zwerg, so ausgegrenzt zu werden. Wir lassen uns alle die Augen verbinden, auch Legolas. So wird es am besten sein, obwohl wir dann alle nur langsam und stumpfsinnig dahintrotten können.«
Gimli lachte laut auf. »Wie ein Haufen Narren werden wir aussehn! Will Haldir uns alle an einer Leine führen wie acht blinde Bettler hinter nur einem Hund? Aber ich bin es schon zufrieden, wenn Legolas allein mein Los teilt.«
»Ich bin Elb und mit denen hier verwandt!«, sagte Legolas, nun seinerseits erbost.
»Da könnten wir rufen: ›die Seuche über die Halsstarrigkeit der Elben!‹«, sagte Aragorn. »Also müssen alle Gefährten die gleiche Behandlung erfahren. Komm, Haldir, verbinde uns die Augen!«
»Ich klage auf Gutmachung für jeden Sturz und jeden verstauchten Zeh, wenn ihr uns nicht gut führt«, sagte Gimli, als sie ihm die Augen verbanden.
»Ohne Grund wirst du klagen«, sagte Haldir, »denn ich werde euch gut führen, und die Wege sind eben und gerade.«
»O Torheit dieser Zeit!«, rief Legolas. »Alle sind wir desselben Feindes Feinde, und doch muss ich blind durchs Waldland gehen, wo die Sonne durchs goldene Laub scheint!«
»Torheit könnte man’s nennen!«, sagte Haldir. »In nichts zeigt ja des Dunklen Herrschers Macht sich deutlicher als darin, wie alle einander fremd werden, die ihm noch trotzen. Doch so wenig Treu und Glauben herrscht nun in der Welt jenseits unserer Grenzen, es sei denn in Bruchtal, dass wir nicht mehr wagen, Vertrauen walten zu lassen, wo unser Land bedroht sein könnte. Auf einer Insel leben wir zwischen hundert Fährnissen, und öfter liegen unsere Hände nun an der Bogensehne als an den Saiten der Harfe.
Lange behüteten uns die Flüsse, doch nun sind sie kein sicherer Schutz mehr, denn rings um uns ist der Schatten nach Norden gekrochen. Manche sprechen davon, das Land verlassen zu wollen, doch dazu ist es wohl schon zu spät. Die Berge im Westen werden immer böser; die Lande im Osten sind wüst und voll von des Feindes Kreaturen; und man sagt, nicht einmal südwärts durch Rohan könnten wir gefahrlos ziehen, und die Mündungen des Großen Stroms würden vom Feind überwacht. Erreichten wir auch die Gestade des Meeres, fänden wir dort kein Obdach mehr. Es heißt, noch gebe es der Hochelben Anfurten, aber sie liegen weit im Nordwesten, hinter dem Land der Halblinge. Wo das aber liegen mag, wissen vielleicht der Herr und die Herrin, doch ich weiß es nicht.«
»Du könntest zumindest versuchen, es zu erfahren, da du uns ja gesehen hast«, sagte Merry. »Die Anfurten der Elben liegen westlich von meiner Heimat, dem Auenland, wo die Hobbits wohnen.«
»Ein glückliches Volk sind die Hobbits, so nah am Meeresgestade zu wohnen!«, sagte Haldir. »Lang ist es her, seit der Unsrigen einer das Meer erblickt hat, aber noch immer gedenken wir seiner in Liedern. Erzähle mir von diesen Anfurten, während wir gehen!«
»Das kann ich nicht«, sagte Merry. »Ich habe sie nie gesehen. Nie zuvor bin ich aus meinem Land herausgekommen. Und hätte ich gewusst, wie es in der Welt draußen aussieht, hätte ich wohl nicht den Mut gehabt, es zu verlassen.«
»Auch nicht, um das schöne Lothlórien zu sehen?«, sagte Haldir. »Freilich ist die Welt voller Fährnisse und finsterer Orte; doch noch immer ist viel Schönes lebendig, und wenn auch die Liebe in allen Landen nun mit Leid vermengt ist, wird sie deshalb vielleicht um so größer.
Manche unter uns singen, der Schatten werde weichen und der Friede einkehren. Doch glaube ich nicht, dass die Welt um uns je wieder so wie einst oder das Licht der Sonne wie vor aller Zeit werden wird. Für die Elben, so fürchte ich, wird es im günstigsten Falle einen Waffenstillstand geben, während dessen sie ungehindert ans Meer ziehen und Mittelerde für immer verlassen können. Ach, Lothlórien den Rücken zu kehren, das ich doch liebe! Was wäre das für ein Leben in einem Land, wo kein Mallorn wächst! Ob aber jenseits des Großen Meeres Mellyrn stehen, hat niemand uns kundgetan.«
Während sie so sprachen, gingen die Gefährten in einer Reihelangsam die Waldwege entlang, angeführt von Haldir und mit dem anderen Elben als Letztem. Sie spürten, dass der Boden unter ihren Füßen eben und weich war,
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