Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
sagte er, »aber nun fühle ich mich wie neu erweckt. Jetzt wünschte ich, du wärest früher gekommen, Gandalf. Denn ich fürchte, nun ist es zu spät, und duwirst nur noch die letzten Tage meines Hauses mit ansehen. Nicht lange wird die hohe Halle mehr stehen, die einst Brego, Eorls Sohn, erbaut hat. Feuer wird den Thron verzehren. Was ist zu tun?«
»Vieles«, sagte Gandalf. »Aber schickt zuerst nach Éomer! Vermute ich richtig, dass Ihr ihn gefangen haltet, auf Anraten Grímas, den alle außer Euch nur Schlangenzunge nennen?«
»Richtig«, sagte Théoden. »Er hatte meine Befehle missachtet und in meiner Halle Gríma mit dem Tod bedroht.«
»Ein Mann kann zwar Euch treu ergeben sein, nicht aber Gríma und seinen Plänen«, sagte Gandalf.
»Wohl möglich. Ich will tun, was du verlangst. Rufe mir Háma herbei! Als Türhüter hat er versagt, soll er nun Laufbursche werden! Der Schuldige soll den Schuldigen vor Gericht bringen«, sagte Théoden in grimmigem Ton, doch sah er Gandalf dabei an und lächelte; und mit diesem Lächeln verschwanden etliche Sorgenfalten aus seinem Gesicht und kehrten nicht wieder.
Nachdem Háma gerufen und mit seinem Auftrag fortgeschickt worden war, geleitete Gandalf den König zu einer der steinernen Bänke und ließ sich selbst zu seinen Füßen auf der obersten Treppenstufe nieder. Aragorn und die Gefährten standen nahebei.
»Jetzt ist keine Zeit, Euch alles zu berichten, was Ihr wissen solltet«, sagte Gandalf. »Doch wenn mich die Hoffnung nicht trügt, so werde ich bald Gelegenheit haben, es näher zu erklären. Glaubt mir, Ihr seid in einer größeren Gefahr, als selbst Schlangenzunges List Euch träumen machte. Aber seht nun, jetzt träumt Ihr nicht mehr! Und Ihr seid am Leben. Gondor und Rohan stehen nicht allein. Der Feind ist unermesslich viel stärker als wir, doch haben wir eine Hoffnung, an die er nicht gedacht hat.«
Gandalf sprach nun sehr schnell, mit leiser Stimme, sodass niemand außer dem König hörte, was er sagte. Aber je länger er sprach, desto heller leuchteten Théodens Augen, und endlich erhob sich der König in seiner ganzen Größe, und auch Gandalf stand auf, und zusammen schauten sie von der hohen Terrasse nach Osten.
»Wahrlich«, sagte Gandalf, nun laut und klar vernehmlich, »dort liegt unsere Hoffnung, am Sitz unserer größten Gefahr. Unser Schicksal hängt an einem Faden. Doch bleibt uns Hoffnung, wenn wir nur für kurze Zeit noch unbesiegt standhalten können.«
Auch die anderen blickten nun nach Osten. Über viele Meilen Land sahen sie hin, so weit das Auge reichte, und ihre Gedanken, von Furcht und Hoffnung getragen, reichten noch weiter, bis über die dunklen Berge und ins Land des Schattens. Wo war der Ringträger jetzt? Wie dünn war doch der Faden, an dem ihr Schicksal hing! Legolas, als er seine weit sehenden Augen anstrengte, glaubte, ein weißes Fünkchen zu sehen: vielleicht eine Zinne des fernen Wachtturms im Sonnenschein. Und noch ferner, endlos weit von ihnen und dennoch eine gegenwärtig drohende Gefahr, sah er eine winzige Flammenzunge.
Langsam setzte Théoden sich wieder, als wollte Müdigkeit, wider Gandalfs Willen, ihn immer noch übermannen. Er drehte sich um und betrachtete sein prächtiges Haus. »Ach!«, sagte er. »Warum müssen mir in meinem Alter statt der wohlverdienten Ruhe so schlimme Tage zuteil werden? Ach, warum musste der tapfere Boromir sterben? Die Jungen gehn zugrunde, und die Alten bleiben und werden schwächer!« Er umklammerte seine Knie mit den runzligen Händen.
»Eure Hand würde sich ihrer alten Stärke besser entsinnen, wenn sie ein Schwertheft umschlösse«, sagte Gandalf.
Théoden stand auf und tastete an seiner Hüfte, doch kein Schwert hing dort. »Wo hat Gríma es nur verstaut?«, murmelte er leise.
»Nehmt dieses, Gebieter!«, sagte eine klare Stimme. »Es stand Euch stets zu Diensten.« Zwei Männer waren leise die Treppe heraufgekommen und standen nun wenige Stufen unterhalb der Terrasse. Éomer war der eine. Auf dem Kopf trug er keinen Helm und vor der Brust keinen Harnisch, aber in der Hand hielt er ein blankes Schwert. Niederkniend bot er seinem König das Heft dar.
»Wie kommt dies?«, sagte Théoden streng. Er wandte sich Éomer zu, und mit Erstaunen sahen die Männer, wie er nun stolz und aufrecht vor ihnen stand. Wo war der gebrechliche Greis geblieben, der eben noch in seinem Sessel gekauert oder sich auf seinen Stock gestützt hatte?
»Ich habe es ihm gegeben, Gebieter«,
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