Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
Reihern, doch nicht in der Geschwindigkeit, denn bei ihren langen Schritten bewegten die Beine sich schneller, als der Reiher mit den Flügeln schlägt. Die Menschen machten ihrer Verwunderung mit lauten Ausrufen Luft, und manche legten die Hand an den Schwertgriff.
»Ihr braucht keine Waffen«, sagte Gandalf. »Dies sind nur Hirten. Sie sind nicht unsere Feinde, und eigentlich interessieren wir sie überhaupt nicht.«
So schien es in der Tat zu sein; denn während er noch sprach, traten die großen Burschen in den Wald ein, ohne die Reiter eines Blicks zu würdigen, und verschwanden.
»Hirten?«, sagte Théoden. »Wo sind ihre Herden? Was sind das für welche, Gandalf? Denn offenbar sind sie zumindest dir nicht fremd.«
»Es sind die Hirten der Bäume«, antwortete Gandalf. »Habt Ihr denn so lange schon keine Geschichten mehr gehört, wie man sie sich am Herdfeuer erzählt? Gewiss gibt es in Eurem Land Kinder, die sich aus den verschlungenen Fäden solcher Geschichten die Antwort auf Eure Frage herauslesen könnten. Ihr habt Ents gesehen, o König, Ents aus dem Fangornwald, den Ihr in Eurer Sprache den Entwald nennt. Dachtet Ihr, man hätte ihm seinen Namen nur aus einer Märchenlaune gegeben? Nein, Théoden, es ist ganz anders: Für die Ents seid ihr nur eine schnell vergessene Geschichte. All die Jahre von Eorl dem Jungen bis zu Théoden dem Alten gelten ihnen für wenig, und alle Taten Eures Hauses sind für sie nebensächlich.«
Der König schwieg einen Moment. »Ents!«, sagte er dann. »Aus den Nachklängen der Sage, glaube ich, kann ich allmählich ein wenig von dem Wunder dieser Bäume verstehen. Dass ich so seltsame Tage noch erlebe! Lange haben wir nur unsere Tiere gepflegt unddie Felder bestellt, Häuser gebaut, Werkzeug geschmiedet oder sind ausgeritten, um Minas Tirith in seinen Kriegen Beistand zu leisten. Und das nannten wir das Leben der Menschen, den Lauf der Welt. Was jenseits unserer Landesgrenzen war, kümmerte uns wenig. Lieder haben wir zwar, die von solchen Dingen berichten, aber die nehmen wir nicht ernst und bringen sie nur noch den Kindern bei – ein achtlos beibehaltener Brauch. Und nun treten Gestalten aus den Liedern von seltsamen Orten mitten unter uns und gehen sichtbar um auf dieser Welt unter der Sonne.«
»Seid froh, dass es so ist, König!«, sagte Gandalf. »Denn nicht nur das kurze Leben der Menschen ist in Gefahr, sondern auch das Leben jener, die Ihr für Sagengestalten angesehen habt. Ihr seid nicht ohne Verbündete, auch wenn Ihr sie nicht kennt.«
»Und doch muss ich auch traurig sein«, sagte Théoden. »Denn wohin immer das Kriegsglück sich wenden mag, wird es nicht am Ende so sein, dass vieles, das schön und wunderbar ist, aus Mittelerde verschwindet?«
»Das mag sein«, sagte Gandalf. »Saurons Übel lässt sich nicht völlig aus der Welt schaffen oder ungeschehen machen. Doch solche Tage sind uns beschieden. Nun weiter auf dem Weg, zu dem wir uns aufgemacht haben!«
Nun ließ der Trupp das Klammtal und den Wald hinter sich und schlug den Weg zu den Furten ein. Legolas folgte widerstrebend. Die Sonne war schon unter den Rand der Welt gesunken; aber als die Reiter aus dem Schatten der Berge herauskamen und nach Westen zur Pforte von Rohan blickten, war der Himmel noch rot, und ein glühendes Licht traf die dahintreibenden Wolken von unten. Kreisend und schwärmend hoben sich viele schwarzgefiederte Vögel dunkel vom Himmel ab; und manche, die zu ihren Nestern in den Felsen zurückkehrten, flogen mit traurigem Krächzen über die Reiter hinweg.
»Die Aaskrähen nach getaner Arbeit auf dem Schlachtfeld«, sagte Éomer.
Sie ritten nun gemächlich, und auf die Ebene ringsum sank die Dunkelheit herab. Langsam stieg der Mond auf, der nun schon bald die volle Rundung erreichen würde, und in seinem kalten silbernen Licht dehnte sich das wellige Wiesenland wie ein weites graues Meer. Sie waren etwa vier Stunden von der Weggabelung geritten, als sie sich den Furten näherten. Lange Hänge fielen rasch zum Fluss hin ab, der sich hier über steinige Untiefen zwischen hohen, grasbewachsenen Terrassen ausbreitete. Der Wind trug Wolfsgeheul zu ihnen herüber. Schweren Herzens gedachten sie der vielen Männer, die in den Schlachten an diesem Ort gefallen waren.
Der Weg tauchte die Rasenhänge hinab und zog sich über die Terrassen bis ans Wasser hinunter und auf der anderen Seite wieder hinauf. Drei Reihen flacher Trittsteine führten über den Fluss, und dazwischen
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